Allgemeiner Überblick

Exkurs ZPO 1: Allgemeiner Überblick

ZPO als Nebengebiet im ersten Examen

In den Zivilrechtsklausuren des ersten Examens sind grundsätzlich zwei ZPO-Konstellationen denkbar: die prozessrechtliche Einkleidung des Falls und die prozessuale Zusatzfrage.

Prozessrechtliche Einkleidung bedeutet, dass die materiellen Rechtsfragen entweder im Rahmen einer Klage oder einer anwaltlichen Beratung zu beantworten sind.

  • Im ersten Fall geht es um die Erfolgsaussichten einer Klage. Hier kommt es darauf an, ob die Klage zulässig und begründet ist. So muss deshalb auch der Einleitungssatz im Gutachten lauten:

„Die Klage des K hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.“

Der Bearbeitungsschwerpunkt liegt selbstverständlich in der Begründetheit, denn hier kommt es darauf an, ob der Kläger gegen den Beklagten den geltend gemachten Anspruch hat. Die Zulässigkeitsprüfung darf aber nicht vernachlässigt werden.

  • Im zweiten Fall kann es um die Erfolgsaussichten einer Klage, der Verteidigung gegen eine Klage oder eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil gehen.

Die prozessuale Zusatzfrage ergänzt die „normale“ Klausuraufgabe. Hier besteht die Herausforderung vor allem darin, sich die Zeit so einzuteilen, dass die Zusatzfrage noch ausreichend beantwortet werden kann. Gerade hierin liegt eine gute Möglichkeit, sich von anderen Klausuren abzuheben.

Typische Zusatzfragen beschäftigen sich bspw. mit Prozesskostenhilfe, der Abgrenzung von Klage- und Mahnverfahren, der Zuständigkeit der Gerichte, dem Anwaltszwang oder einzelnen Klagearten. Letztlich wird auch hier der Phantasie der Klausurersteller nur durch den Stoffkatalog eine Grenze gesetzt. Für eine erfolgreiche Klausur sind sichere ZPO-Kenntnisse deshalb unerlässlich.

In der mündlichen Prüfung wählen Prüfer aus der gerichtlichen oder anwaltlichen Praxis nicht selten einen prozessualen Einstieg. Oft geht es um die Gerichtsorganisation und den Instanzenzug, die Zuständigkeiten und die Verfahrensgrundsätze.

Funktionen der ZPO

„Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe.“

Ob jemand ein Recht hat, entscheidet das materielle Recht mit seiner Anspruchsprüfung. Liegen alle anspruchsbegründenden Voraussetzungen vor, ist der Schuldner verpflichtet, den Anspruch zu erfüllen, es sei denn, er kann mit Erfolg anspruchshindernde oder -vernichtende Einwendungen bzw. anspruchshemmende Einreden vorbringen. Verweigert er die Erfüllung, stellt sich für den Gläubiger die Frage, wie er seinen Anspruch durchsetzen kann, also „Recht bekommt“. Dabei verbietet es ihm die Rechtsordnung, sein Recht auf eigene Faust – im Wortsinne – zu verfolgen, denn das Gewaltmonopol liegt beim Staat (Art. 20 GG) 1 Nimmt der Staat seinen Bürgern aber die Möglichkeit, das Recht in die eigene Hand zu nehmen, muss er eine effektive Rechtsdurchsetzung gewährleisten. Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergibt sich deshalb ein Justizgewährungsanspruch, der nicht nur die Existenz einer Gerichtsbarkeit und den Zugang zu ihr gewährleistet, sondern zugleich auch den Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz zum Inhalt hat, durch den grundsätzlich eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes und eine verbindliche Entscheidung durch einen Richter sichergestellt ist. 2 Im Bereich des Privatrechts wird der Justizgewährungsanspruch vor allem durch das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und die Zivilprozessordnung (ZPO) gewährleistet.

Das Gewaltmonopol des Staates wird in erster Linie durch den Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan ausgeübt (§ 753 Abs. 1 ZPO). Dabei wird der Gerichtsvollzieher zwar im Auftrag des Gläubigers tätig, für die Vollstreckung genügt es jedoch nicht, dass der Gläubiger lediglich einen Anspruch gegen seinen Schuldner behauptet. Vielmehr muss er dem Gerichtsvollzieher einen Titel aushändigen, aus dem sich die Leistungspflicht des Schuldners ergibt (§ 754 Abs. 1 ZPO). Welche Titel Grundlage der Vollstreckung sein können, gibt die ZPO vor: Urteile (§ 704 ZPO) und weitere Titel (§ 794 Abs. 1 iVm § 795 ZPO), von denen insbesondere der gerichtliche Vergleich (Nr. 1) und der Vollstreckungsbescheid (Nr. 4) Klausurrelevanz haben.

Man kann deshalb grundsätzlich zwei Funktionen der ZPO unterscheiden: Sie regelt zum einen, wie der Gläubiger zu einem Titel gelangt, und zum anderen die Vollstreckung eines Titels. Im Mittelpunkt des Verfahrens zur Erlangung eines Titels steht das Klageverfahren (Erkenntnisverfahren). Die Durchsetzung des Titels erfolgt im Zwangsvollstreckungsverfahren, in dem es aber ebenfalls zur Durchführung von Erkenntnisverfahren kommen kann (Vollstreckungsabwehrklage des Schuldners, Drittwiderspruchs- und Vorzugsklage eines Dritten).

Das Zwangsvollstreckungsverfahren ist Gegenstand des Kurses ZPO II.

Gerichtsorganisation

Nach Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt – die Rechtsprechung - den Richtern anvertraut. Sie wird durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt (§ 1 GVG), wobei hiervon sowohl die Gerichte als Organisationseinheiten als auch jeder einzelne Richter erfasst werden.

In der Gerichtsorganisation wird grundsätzlich unterschieden zwischen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und den Fachgerichten (Arbeits-, Finanz-, Sozial-, Verwaltungsgerichtsbarkeit). Die ordentliche Gerichtsbarkeit wird durch Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und den Bundesgerichtshof ausgeübt (§ 12 GVG).

  • In den Amtsgerichten (AG) bestehen einzelne Abteilungen mit jeweils einem Richter (§ 22 Abs. 1 GVG). Er trägt die Dienstbezeichnung „Richter am Amtsgericht“ bzw. vor Lebenszeiternennung „Richter“. Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts in Zivilsachen ergibt sich aus § 23 GVG. Danach sind die Amtsgerichte insbesondere zuständig für Ansprüche deren Gegenstand den Wert von 5.000,00 Euro nicht übersteigt (Nr. 1). Eine wichtige Ausnahme gilt für Streitigkeiten aus Mietverhältnissen über Wohnräume, denn hier ist das Amtsgericht unabhängig von der Höhe des Streitwerts zuständig.

  • Bei den Landgerichten (LG) gibt es zwei Arten von Spruchkörpern: die Zivilkammern (§ 60 GVG) und die Kammern für Handelssachen (§§ 93 ff. GVG).

  • Die Zivilkammern bestehen aus einem Vorsitzenden, der die Dienstbezeichnung „Vorsitzender Richter am Landgericht“ trägt, und mindestens zwei Beisitzern, die „Richter am Landgericht“ oder (aber nur einer von ihnen) „Richter“ sein können (§ 59 Abs. 1 GVG). Die Kammern sind erstinstanzlich zuständig

  • für diejenigen Rechtsstreitigkeiten, die nicht den Amtsgerichten zugewiesen sind, also für alle Verfahren, deren Streitwert 5.000,00 Euro übersteigt (§ 71 Abs. 1 GVG);

  • unabhängig vom Streitwert sind sie u.a. zuständig für Staatshaftungsansprüche (§ 71 Abs. 2 Nr. 1, 2 GVG) und Prospekthaftungsklagen (Abs. 2 Nr. 3).

Die Zivilkammern entscheiden grundsätzlich durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter (§ 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im Ausgangspunkt besteht also kein Unterschied zu den Amtsgerichten. Allerdings gilt das nicht für Richter auf Probe, die noch nicht ein Jahr als Zivilrichter tätig sind (Satz 2 Nr. 1). Vor allem aber besteht eine originäre Zuständigkeit der ganzen Kammer, wenn sie für eines der in Satz 2 Nr. 2 genannten Rechtsgebiete spezialzuständig ist. Darüber hinaus kann die Kammer den Rechtsstreit nach Vorlage durch den originären Einzelrichter den Rechtsstreit übernehmen (Abs. 2). Im Gegenzug können Kammersachen auch auf den Einzelrichter übertragen werden (§ 348a ZPO).

Zweitinstanzlich sind die Kammern zuständig für

  • die Berufungen gegen Amtsgerichtsurteile und

  • die Beschwerden gegen Beschlüsse des Amtsgerichts (§ 72 Abs. 1 GVG).3

  • Die Kammern für Handelssachen (KfH) bestehen aus einem Vorsitzenden Richter am Landgericht und zwei ehrenamtlichen Richtern, den sog. Handelsrichtern (§ 105 Abs. 1 GVG). Sie sind zuständig für die in § 95 GVG aufgezählten Handelssachen, wenn der Kläger in der Klageschrift eine Verhandlung vor der KfH beantragt hat (§ 96 Abs. 1 GVG) oder der Beklagte in der Klageerwiderung Verweisung an die KfH beantragt (§ 98 Abs. 1 GVG).

  • Bei den Oberlandesgerichten (OLG) entscheiden Zivilsenate, die aus einem Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und Richtern am Oberlandesgericht als Beisitzer bestehen, wobei Beisitzer auch abgeordnete Richter am Amtsgericht bzw. Landgericht sein können.

  • Eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte besteht nach § 118 GVG für Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) und nach § 119 Abs. 3 ZPO für Musterfeststellungsklagen (§§ 606 ff. ZPO).

  • Zweitinstanzlich zuständig sind die Zivilsenate für

  • die Berufungen gegen Urteile des Landgerichts und

  • die Beschwerden gegen Beschlüsse des Landgerichts (§ 119 Abs. 1 GVG).

  • Der Bundesgerichtshof (BGH), der seinen Sitz in Karlsruhe hat (§ 123 Abs. 1 GVG), entscheidet ebenfalls durch Zivilsenate (§ 130 GVG), die mit einem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof und mindestens vier weiteren Richtern am Bundesgerichtshof als Beisitzer besetzt sind. Die Senate entscheiden stets in voller Besetzung, also mit fünf Richtern. Darüber hinaus wird ein Großer Senat in Zivilsachen gebildet, der bei Rechtsprechungsdivergenzen zwischen zwei Senaten entscheidet (§ 132 ZPO),

Der BGH ist vor allem zuständig für

  • Revisionen gegen die Berufungsurteile der Land- und Oberlandesgerichte und

  • Rechtsbeschwerden (§ 133 ZPO).4

Recht auf den gesetzlichen Richter

Gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Das bedeutet u.a., dass die Zuständigkeit der Gerichte und der einzelnen Richter aufgrund einer abstrakt-generellen Regelung zu bestimmen ist und nicht durch willkürliche Zuweisung.

  • Die Zuständigkeit des Gerichts ergibt sich dabei aus den Vorschriften über den Rechtsweg (§§ 17a ff. GVG), die sachliche (§§ 23, 71 GVG) und die örtliche (§§ 12 ff. ZPO), ggf. auch die internationale Zuständigkeit (bspw. EuGVVO).

  • Für die interne Zuständigkeit der einzelnen Richter des Gerichts ist der Geschäftsverteilungsplan (GVP) maßgeblich, der vor Beginn eines jeden Jahres vom Präsidium des Gerichts (§ 21a GVG) beschlossen wird (§ 21e Abs. 1 GVG). Der GVP eines Landgerichts regelt jedoch nur die Zuständigkeit der einzelnen Kammern. Welches der Kammermitglieder für eine Sache zuständig ist, muss sich aus dem kammerinternen GVP ergeben (§ 21g GVG).


  1. Eine Ausnahme hiervon ist z.B. das Selbsthilferecht des unmittelbaren Besitzers einer Sache gegenüber demjenigen, der ihm den Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen hat (§ 859 Abs. 1 BGB).

  2. BVerfG (1 BvR 509/11)

  3. Zur Berufung Exkurs ZPO I 3.

  4. Zur Revision Exkurs ZPO I 3.

  5. Zur Zuständigkeit Exkurs ZPO I 5.