OLG Frankfurt am Main zum Erfordernis einer ladungsfähigen Anschrift

OLG Frankfurt am Main zum Erfordernis einer ladungsfähigen Anschrift

Flüchtiger Häftling wehrt sich gegen Presseberichte über Gefängnisausbruch

Man dürfte meinen, dass ein Strafgefangener auf der Flucht andere Sorgen hätte als die öffentliche Wahrnehmung seiner Person. Zumindest in dieser Konstellation wäre dies wohl falsch gedacht.

Sachverhalt

Alles begann, als ein Strafgefangener Ende 2023 nach seinem Freigang im Rahmen des offenen Vollzugs nicht in die JVA zurückkehrte. Bis ein Presseunternehmen das Ereignis aufgriff, dauerte es nicht lange: In zwei Artikeln wurde im Januar 2024 unter den Überschriften „(…)-Knacki aus JVA (…) abgehauen“ und „Beim Freigang aus JVA abgehauen (…) Gefängnis wusste, dass (…)-Knacki fliehen wollte … aber niemand reagierte!“ darüber berichtet. Dem späteren Antragsteller schmeckten diese Presseberichte überhaupt nicht, was auch daran gelegen haben mag, dass in diesem Zuge Bildnisse von ihm in Umlauf gerieten. Schließlich beantragte er über seinen Rechtsanwalt beim LG Frankfurt am Main im einstweiligen Verfügungsverfahren die berichtende Zeitung zur Unterlassung der Veröffentlichung seines Bildes und der Äußerungen, er habe aus dem Gefängnis heraus Drogengeschäfte abgewickelt, zu verurteilen. Eine entsprechende Sicherungsverfügung i.S.d. § 935 ZPO erließ das Gericht allerdings nicht, da der Flüchtige abgesehen von seiner ehemaligen Adresse in der JVA keine aktuelle Anschrift angab. Insofern sei nicht sichergestellt, dass die „ernsthafte Möglichkeit einer ordnungsgemäßen Zustellung“ bei dem Antragsteller bestünde. Folglich wies das LG den Antrag des Häftlings als unzulässig zurück. Hiergegen wendete sich der Flüchtige mit der Beschwerde.

Entscheidung des OLG Frankfurt am Main

Auch die Beschwerde blieb erfolglos. Der für das Presserecht zuständige 16. Zivilsenat stellte in Parallelität zum BGH klar, dass eine ladungsfähige Anschrift auch bei anwaltlicher Vertretung auf Klägerseite zur Bezeichnung der Parteien nach § 253 II Nr. 1 ZPO gehöre und damit zwingende Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Klageerhebung sei. Hierbei rekurrierte das Gericht auf die Funktion der ladungsfähigen Anschrift als Beleg für die Ernsthaftigkeit des Begehrens und die Bereitschaft des Antragstellers, sich auch etwaigen nachteiligen Folgen des Gerichtsverfahrens stellen zu wollen. Man könne einen Prozess schließlich nicht „aus dem Verborgenen“ heraus führen. Eine ladungsfähige Anschrift des Flüchtigen sei auch nicht in der Adresse der JVA zu sehen, die er in der Antragsschrift angab, weil er mit seinem Entweichen aus der JVA nach außen bekundet habe, seinen Aufenthalt dort dauerhaft aufgeben zu wollen.

Damit war die Prüfung jedoch nicht beendet: Getreu nach dem Motto „keine Regel ohne Ausnahme“ kann aber im Einzelfall von dem Erfordernis der ladungsfähigen Anschrift abgesehen werden, wenn ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse dies erfordert. Ein solches läge nach Ansicht des OLG jedoch nicht vor, denn gegenüber der konkreten Gefahr einer Verhaftung käme dem Interesse an der ladungsfähigen Anschrift schon aufgrund der Vollstreckung möglicher Kostenforderungen gegen den Flüchtigen gerade keine untergeordnete Bedeutung zu. In Anbetracht dessen, dass im Eilverfahren kein Kostenvorschuss erhoben werde, könne der Antragsteller seinen Prozess andernfalls „ohne jegliches finanzielles Risiko“ führen. Es sei nicht hinzunehmen, dass dies ansonsten der Antragsgegnerin voll aufgebürdet werde. Folglich sei es dem Antragsteller zumutbar, eine inländische ladungsfähige Anschrift anzugeben. Alternativ regte das Gericht an, der Flüchtige möge doch seine Zelle in der JVA wieder beziehen, wenn er seine zivilrechtlichen Ansprüche gegen die Zeitung erfolgreich geltend machen wolle. Da sage noch einer, Richter hätten keinen Humor.

Fazit

Wieder einmal schreibt die Wirklichkeit die besten Geschichten. Wer einen guten Anlass braucht, um die Systematik der ZPO und ihre Verfahrensgrundsätze zu wiederholen, fühle sich hiermit angesprochen. Aber abgesehen davon, dass man sich mit diesem Fall wunderbar an die Voraussetzungen des § 253 II Nr. 1 ZPO erinnert, die sich so nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm entnehmen lassen, beweist der flüchtige Häftling mit seinem Antrag: ein wenig skurriler geht’s wohl immer.