BGH zu Berichterstattung über Formel-1-Weltmeister

BGH zu Berichterstattung über Formel-1-Weltmeister

Kann eine in der Öffentlichkeit bekannte Person die Unterlassung einer Presseberichterstattung verlangen?

Viele Menschen sind an dem Privatleben von Prominenten interessiert und dementsprechend finden entsprechende Berichterstattungen regen Eingang in diesbezügliche Zeitschriften. Kann ein Prominenter bezüglich der Darstellung eines Besuchs eines hohen Geistlichen in seinem Privathaus Unterlassung verlangen?

A. Sachverhalt

Der Kläger (K) ist mehrfacher Formel-1-Weltmeister. Die Beklagte (B) ist Verlegerin der Zeitschrift „FREIZEIT REVUE“. Bei einem Skiunfall im Jahr 2013 ist K schwer verunglückt und seitdem nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. In der Zeitschrift wurde unter Nennung des Namens des Formel-1-Weltmeisters ein Artikel veröffentlicht hinsichtlich des Besuchs eines Erzbischofs, des Privatsekretärs von Papst Franziskus, im Wohnhaus des K. „Bevor sich der Geistliche verabschiedete, zeichnete er mit dem Daumen noch ein Kreuzzeichen auf K (…) Stirn“.

K verlangt von B Unterlassung dieser Presseberichterstattung.

B. Entscheidung

K macht insofern einen Unterlassungsanspruch geltend.

I. Unterlassungsanspruch

K könnte gegen B einen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Presseberichterstattung haben nach § 1004 I 2 BGB analog.

Ein solcher quasinegatorischer Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 BGB analog setzt voraus: Sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB, Beeinträchtigung, Wiederholungsgefahr, Anspruchsgegner ist Störer, keine Duldungspflicht nach § 1004 II BGB = Rechtswidrigkeit.

1. Analoge Anwendung

In direkter Anwendung betrifft der negatorische Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 BGB das Eigentum. Da dieses nicht betroffen war, kommt lediglich eine analoge Anwendung in Betracht. Eine Analogie setzt einen vergleichbaren Sachverhalt und eine planwidrige Regelungslücke voraus. Diese Voraussetzungen sind erfüllt bei einer möglichen Beeinträchtigung eines sonstigen Rechts im Sinne des § 823 I BGB.

2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 I i.V.m. 1 I GG, Art. 8 I EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) stellt ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB dar. Unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht fällt unter anderem das Recht der Selbstbewahrung, welches das Recht eines geschützten Bereichs der persönlichen Lebensgestaltung verbürgt, mit dem Schutz der Privatsphäre.

Das Recht auf Achtung der Privatsphäre gesteht jedermann einen autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann. Dazu gehört auch das Recht, für sich zu sein, sich selber zu gehören und den Einblick durch andere auszuschließen. Der Schutz der Privatsphäre ist sowohl räumlich als auch thematisch bestimmt. Er umfasst einen räumlich bestimmten – insbesondere häuslichen, aber auch außerhäuslichen – Bereich, in dem der Einzelne die Möglichkeit hat, frei von öffentlicher Beobachtung und der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein, und in dem er zu sich kommen, sich entspannen oder auch gehen lassen kann, und der das Bedürfnis verwirklichen hilft, „in Ruhe gelassen zu werden“. Thematisch umfasst der Schutz der Privatsphäre insbesondere Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat“ eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst

Die Presseberichterstattungen könnten eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bezüglich der Achtung der Privatsphäre des K darstellen. Insofern kommt eine analoge Anwendung des § 1004 I 2 BGB in Betracht.

3. Beeinträchtigung

Ob eine Presseberichterstattung bezüglich einer prominenten Person eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Bezug auf seine Privatspähre darstellt, bedarf einer Prüfung im Einzelfall. Es wird in dem Artikel der Besuch eines hohen Geistlichen auf dem privaten Anwesen des K geschildert.

Mit der Passage „Bevor sich der Geistliche verabschiedete, zeichnete er mit dem Daumen noch ein Kreuzzeichen auf K (…) Stirn.“ schildert der Artikel eine religiöse Geste, die der Geistliche gegen Ende seines Besuchs, vor seiner Verabschiedung, dem Kl. habe zuteil werden lassen. … Mit diesem Informationsgehalt beeinträchtigt die angegriffene Textpassage sowohl den räumlichen als auch den thematischen Bereich der Privatsphäre des Kl. Denn der Besuch des Geistlichen, über den der Leser Einzelheiten erfährt, war – wie sich aus dem Artikel ergibt – privater Natur und fand im Wohnhaus des Kl. statt.

4. Wiederholungsgefahr

Des Weiteren müsste eine Wiederholungsgefahr gegeben sein. Das ist der Fall, sofern objektiv die Besorgnis besteht, dass weitere Störungen erfolgen. Dafür genügt eine erfolgte Beeinträchtigung. Hieraus ergibt sich eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr. Somit ist die Wiederholungsgefahr gegeben.

5. Anspruchsgegner ist Störer

Darüber hinaus müsste B Störer sein. B könnte unmittelbare Handlungsstörerin sein. Dies ist diejenige, die eine Beeinträchtigung – hier des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – durch ihr eigenes Verhalten adäquat verursacht. B hat den Besuch des Geistlichen bei K in ihrer Zeitschrift veröffentlicht. Damit ist sie unmittelbare Handlungsstörerin.

6. Keine Duldungspflicht nach § 1004 II BGB = Rechtswidrigkeit

Sofern keine Duldungspflicht für K nach § 1004 II BGB besteht, ist die Veröffentlichung rechtswidrig. Eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nicht per se rechtswidrig.

Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.

Im Streitfall ist das durch Art. 2 I, Art. 1 I GG, Art. 8 I EMRK gewährleistete Interesse des Kl. am Schutz seines Persönlichkeitsrechts mit dem in Art. 5 I GG, Art. 10 I EMRK verankerten Recht der Bekl. auf Meinungsfreiheit abzuwägen. Da die Äußerung der Bekl. die Privatsphäre des Kl. betrifft, ist ungeachtet ihrer Wahrheit von entscheidender Bedeutung, ob sie sich durch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lässt.

Geschützt von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I GG ist sowohl die Meinungsäußerung als auch die Meinungsverbreitung. Die Pressefreiheit gem. Art. 5 I GG soll eine freie Meinungsbildung und Berichterstattung gewährleisten. Zum Schutzbereich der Presse- und Meinungsfreiheit gehört auch die Veröffentlichung von Berichten über das Privatleben von Prominenten.

Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu. Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Allerdings gebührt dem Persönlichkeitsschutz nicht etwa schon deshalb regelmäßig der Vorrang, weil eine weder unwahre noch ehrenrührige Berichterstattung bloße Belanglosigkeiten über eine prominente Person zum Gegenstand hat, ohne einen wesentlichen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten.

Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet …, ist von erheblicher Bedeutung, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt. Eine in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson kann einen besonderen Schutz ihres Privatlebens beanspruchen, nicht aber eine Person des öffentlichen Lebens. …

Stets abwägungsrelevant ist auch die Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Diese ist als gering zu werten, wenn es sich um zutreffende Tatsachen handelt, die entweder belanglos sind oder sich allenfalls oberflächlich mit der Person des Betroffenen beschäftigen, ohne einen tieferen Einblick in seine persönlichen Lebensumstände zu vermitteln und ohne herabsetzend oder gar ehrverletzend zu sein.

Die Abwägung ergibt, dass das Interesse des K am Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hinsichtlich der Privatsphäre nach Art. 2 I i.V.m. 1 I GG, Art. 8 I EMRK das Recht der B auf Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 I GG, Art. 10 I EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) nicht überwiegt.

Die angegriffene Textpassage beeinträchtigt die Privatsphäre des Kl. nur geringfügig.

K hat sich auch vor seinem Unfall in der Öffentlichkeit zu seinem christlichen Glauben bekannt.

Vor diesem Hintergrund enthält die Textpassage lediglich die Schilderung einer üblichen und erwartbaren Geste eines hohen katholischen Geistlichen am Ende seines Besuchs bei dem ihm vertrauten und sich zum christlichen Glauben bekennenden Kl. Weder wird über die Reaktion des Kl. auf diese religiöse Geste des Geistlichen berichtet, noch wird mitgeteilt, ob der Kl. eine eigene religiöse Handlung vorgenommen hat. Hinzu kommt, dass die Bekl. diese Information nicht auf rechtswidrige oder indiskrete Weise erlangt, sondern der Geistliche sie der Presse preisgegeben hat. Damit liegt eine nur unerhebliche Beeinträchtigung der Privatsphäre des Kl. vor, weshalb im Rahmen der Abwägung sein Persönlichkeitsrecht das erhebliche berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung nicht überwiegt.

Somit besteht eine Duldungspflicht für K nach § 1004 II BGB und die Veröffentlichung ist nicht rechtswidrig.

Ergebnis:

K hat gegen B keinen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Presseberichterstattung nach § 1004 I 2 BGB analog.

C. Prüfungsrelevanz

Es ist sehr gut vorstellbar, dass die Prüfungsämter diese Entscheidung aufgreifen werden. Es handelt sich um einen täglich vorkommenden Vorgang. Ein Verlag berichtet über das Privat- und Alltagsleben einer Person des öffentlichen Lebens und diese Person begehrt Unterlassung. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um die Presseberichterstattung bezüglich eines bekannten mehrfachen Formel-1-Weltmeisters.

Die Entscheidung ist sehr prüfungsrelevant, da sie die Gelegenheit bietet, alle Voraussetzungen eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs nach § 1004 I 2 BGB abzuprüfen. Dabei ist eine umfassende Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 I i.V.m. 1 I GG als Rahmenrecht vorzunehmen. Ferner sind Bestimmungen der EMRK dabei einzubeziehen.

(BGH Urt. v. 24.10.2023 – VI ZR 1074/20)