VGH Mannheim zur Unzulässigkeit einer gemeindlichen Unterstützung einer AfD-kritischen Initiative

VGH Mannheim zur Unzulässigkeit einer gemeindlichen Unterstützung einer AfD-kritischen Initiative

Im Anschluss an die Berichterstattung des Medienhauses „CORRECTIV“ über einen Geheimplan und ein Treffen rechtsextremer Ideengeber zur Rückführung von Menschen aus rassistischen Gründen aus der Bundesrepublik („Remigration“), an dem auch Vertreter der AfD teilgenommen haben, wurden von im Gemeinderat vertretenen Parteien mit Unterstützung durch die Bürgermeister örtliche Protestaktionen organisiert. Die AfD war in einem solchen Fall mit einem Eilantrag auf Unterlassen gegen die Stadt Durlach erfolgreich.

A. Vereinfachter Sachverhalt

In der Stadt D haben die im Rat vertretenen Parteien Grüne, CDU, SPD, FDP, FW und Linke – veranlasst durch Pressemitteilungen über die Beteiligung von Mitgliedern der AfD an einem Geheimtreffen über das Thema „Remigration“ – zu einer öffentlichen Protestveranstaltung im Freien unter dem Motto „Durlach leuchtet für Demokratie” aufgerufen. Die im Stadtrat gleichfalls vertretene AfD wurde an der Vorbereitung und Durchführung der Aktion nicht beteiligt. Der Aufruf wurde von der Stadtverwaltung unterstützt. So hat das Bürgermeisteramt in einer E-Mail an Mitarbeiter auf die Veranstaltung hingewiesen und sich dort für eine etwaige Unterstützung bedankt. Im Anhang der E-Mail befand sich der Aufruf der in D vertretenen, wie es wörtlich hieß, „demokratischen Parteien Grüne, CDU, SPD, FDP, FW und Linke“. In einer Veröffentlichung des Aufrufs in der örtlichen Tageszeitung wurde im Impressum als „verantwortlich für den amtlichen Teil“ das Bürgermeisteramt genannt. Die Stadtverwaltung hat zudem die Nutzung der kommunalen Plakatständer für die Dauer von zwei Wochen den veranstaltenden Parteien zugesichert. Eine darauf bezogene Rüge der AfD hat der Bürgermeister zurückgewiesen unter Hinweis auf die Bindung der Stadt an die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die AfD verweist demgegenüber auf die Beeinträchtigung ihrer Chancengleichheit in der anstehenden Kommunalwahl und der bevorstehenden Wahl zum Europäischen Parlament.

Das örtlich zuständige Verwaltungsgericht soll deshalb auf Antrag der AfD dem Bürgermeister

  1. verbieten, eine Einflussnahme auf die politische Willensbildung der Einwohner dergestalt vorzunehmen, dass zur Teilnahme an der Veranstaltung offiziell durch das Bürgermeisteramt eingeladen wird und dass im Vorfeld Plakate und Pressetexte über die Beteiligung der Stadt verbreitet werden;

  2. aufgeben, etwaigen Empfängern der E-Mail gegenüber sowie in der örtlichen Tageszeitung klarzustellen, dass die Veranstaltung: „D. leuchtet für Demokratie“ nicht durch das Bürgermeisteramt D. unterstützt wird.

Wie ist über den noch vor der Veranstaltung beim Verwaltungsgericht eingegangenen Eilantrag zu entscheiden?

B. Entscheidung

Die AfD beantragt beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht im Wege des Eilverfahrens, dass der Stadt D die Mitwirkung an einer von mehreren Parteien getragenen Veranstaltung untersagt wird und bereits getroffene Maßnahmen rückgängig gemacht werden.

I. Zulässigkeit

1. Das angerufene „örtlich zuständige Verwaltungsgericht“ verweist den Rechtsstreit, wenn der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist (§ 17a Abs. 2 GVG) oder wenn es sachlich nicht zuständig ist (§ 83 VwGO). Die Zuständigkeiten im Eilverfahren sind nicht anders zu beurteilen als in der Hauptsache (vgl. §§ 123 II, 1, 80 V, 1 VwGO).

a) Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I VwGO in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten eröffnet, sofern nicht abdrängende Sonderzuweisungen eingreifen oder der Rechtsstreit zwischen am Verfassungsleben beteiligten Stellen über Fragen des Verfassungsrechts geführt wird. Das Begehren der AfD steht im Sachzusammenhang zu den Rechten und Pflichten politischer Parteien auf kommunaler Ebene und ist in den Gemeindeordnungen sonderrechtlich ausgestaltet. Die Gemeinde steht der AfD als Verwaltungsträger gegenüber, es streiten somit nicht auf beiden Seiten Beteiligte aus dem Verfassungsrecht.

b) Sachlich zuständig ist das angerufene Verwaltungsgericht (§ 45 VwGO), der Rechtsstreit ist nicht nach §§ 47, 48 VwGO dem OVG oder nach § 50 VwGO dem BVerwG zugewiesen.

2. Beteiligte des Rechtsstreits ist die AfD als Antragstellerin, unabhängig davon, ob es sich bei ihr um eine juristische Person des Privatrechts handelt oder nicht (vgl. § 3 ParteienG). Antragsgegnerin ist die Stadt als juristische Person des öffentlichen Rechts bzw. der Bürgermeister dann, wenn das Landesrecht dies in Ausführung des § 61 Nr. 3 VwGO vorsieht.

3. Statthafte Verfahrensart ist in Eilverfahren ein Antrag nach § 123 I VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, es sei denn, der Antragsteller erstrebt die Suspendierung eines Verwaltungsaktes oder – in mehrpoligen Beziehungen – dessen vorzeitige Vollziehung (vgl. § 123 V VwGO). Das Begehren der AfD ist auf ein Unterlassen (Antrag 1) und auf die Vornahme schlichten Verwaltungshandelns (Antrag 2) gerichtet. Dies fällt in Eilverfahren in den Anwendungsbereich des § 123 I VwGO.

4. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen nennt das Gesetz nicht ausdrücklich. Da niemand einen „allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch“ hat und deshalb nicht jede öffentlich-rechtliche Bindung der Verwaltung gerichtlich durchsetzen kann, gilt der in § 42 II VwGO normierte allgemeine Rechtsgedanke auch für die verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren. Der Anspruch auf Chancengleichheit und damit das subjektive Recht folgen für politische Parteien auf Bundesebene aus Art. 21, 38 GG, auf Landesebene aus den entsprechenden Vorschriften der Landesverfassung und auf kommunaler Ebene unmittelbar aus Art. 21 I, 3 I GG, soweit dieser Anspruch nicht ausdrücklich in der Kommunalverfassung (GO) kodifiziert ist.

II. Begründetheit

Der zu Recht gegen die Stadt D als Verursacher gerichtete Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn der geltend gemachte Anordnungsanspruch besteht bzw. glaubhaft ist und dies auch bezogen auf den Anordnungsgrund (die Eilbedürftigkeit) festgestellt werden kann.

1. Der Anordnungsanspruch kann sich bezogen auf Antrag 1 aus einem (vorbeugenden) öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch ableiten.

a) Eine allgemeine Anspruchsgrundlage für einen (auch vorbeugenden) Unterlassungsanspruch ist – anders als im BGB (vgl. § 1004 I BGB) – im Verwaltungsrecht nicht geregelt. Ein vergleichbarer Anspruch zum Schutz subjektiver Rechte gegenüber der Verwaltung ist jedoch seit vielen Jahren gewohnheitsrechtlich anerkannt, sodass es insoweit keiner Analogie (mehr) bedarf.

b) Anspruchsvoraussetzung für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch ist, dass durch öffentlich-rechtliches Verwaltungshandeln ein Eingriff droht, der nicht vom Träger des betroffenen subjektiven Rechts geduldet werden muss, insbes. bei Rechtswidrigkeit des beanstandeten Verwaltungshandelns.

aa) Als subjektives Recht kommt das Recht der Parteien auf Chancengleichheit (Art. 21 I, 3 I GG) im politischen Wettbewerb in Betracht. Dazu führt der VGH aus (Rn. 15):

„Wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, kann sich der Antragsteller hier auf das Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb berufen. Das Gebot der Chancengleichheit beherrscht den gesamten Sachbereich der Wahlen (BVerfG, Beschl. v. 17.06.2004 - 2 BvR 383/03), hierzu gehört insbesondere auch die Wahlwerbung (BVerfG, Beschl. v. 25.04.1985 - 2 BvR 617/84), das gesamte Vorfeld der Wahlen (BVerfG, Beschl. v. 22.05.2001 - 2 BvE 1/99; Beschl. v. 17.06.2004 - 2 BvR 383/03) sowie die Teilnahme am ständigen Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.04.2003 - 8 C 14.02). Der Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen untersagt daher der öffentlichen Gewalt jede unterschiedliche Behandlung der Parteien bzw. der Wahlbewerber, durch die deren Chancengleichheit bei Wahlen verändert werden kann, sofern sie sich nicht durch einen besonderen - zwingenden - Grund rechtfertigen lässt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.02.1978 - 2 BvR 523/75; vgl. Senat, Urt. v. 24.01.2023 - 1 S 359/22). Eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit kann dabei auch darin liegen, dass einer bestimmten Partei eine Chance vorenthalten wird, auf den Willensbildungsprozess einzuwirken (vgl. Senat, Urt. v. 24.01.2023 - 1 S 359/22).“

bb) Es ist zu einem der Stadt zurechenbaren Eingriff in das subjektive Recht auf Chancengleichheit gekommen. Die Stadt hat die Aktion der Parteien Grüne, CDU, SPD, FDP, FW und Linke durch ihre Maßnahmen einseitig unterstützt – als Mitherausgeber des Aufrufs in der Tageszeitung, durch Bereitstellung kommunaler Plakatständer und durch die E-Mail an ihre Mitarbeiter. Eine Ungleichbehandlung folgt zudem daraus, dass die AfD als gleichfalls ortsansässige Partei in den parteiübergreifenden Vorgang nicht eingebunden wurde, sodass sie vom Willensbildungsprozess auf örtlicher Ebene ausgeschlossen wurde. Daran hat sich die Stadt beteiligt.

cc) Gemeinden können auch mit politisch intendierten Verwaltungshandeln gerechtfertigt sein, wenn dies Teil einer zulässigen Öffentlichkeitsarbeit auf kommunaler Ebene ist. Gemeinden sind nicht reine Verwaltungsträger, sondern aufgrund der Kommunalwahlen als Vertretung der Einwohner auch Träger örtlicher Meinungsbildung. Aus dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien folgt jedoch, dass es einer Gemeinde dabei verwehrt ist, auf den Meinungskampf zwischen den Parteien einseitig Einfluss zu nehmen.

dd) Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch setzt weiter voraus, dass Wiederholungsgefahr besteht bzw. der beanstandete Eingriff droht. Dazu führt der VGH aus (Rn. 26):

„Auch die für den öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wurde von dem Antragsteller glaubhaft gemacht. Diese Wiederholungsgefahr kann grundsätzlich dann angenommen werden, wenn die Beeinträchtigung stattgefunden hat und die Antragsgegnerin – wie hier ….– deutlich macht, dass sie die angegriffenen Maßnahmen für rechtmäßig hält und daher keinen Anlass sieht, von ihnen Abstand zu nehmen (vgl. BayVGH, Urt. v. 22.10.2015 - 10 B 15.1609).“

Damit steht der AfD der mit Antrag 1 verfolgte vorbeugende Unterlassungsanspruch zu.

2. Mit dem Antrag 2 verfolgt die AfD einen allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch. Der AfD geht es darum, mit der Aussage des angestrebten Verwaltungshandelns dem Eindruck entgegenzutreten, der tatsächlich bereits durch das Engagement des Bürgermeisters eingetreten ist.

Der seit vielen Jahren anerkannte Anspruch auf Folgenbeseitigung ist – wie der Unterlassungsanspruch – gleichfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt und bedarf heute keiner Ableitung mehr etwa aus dem Rechtstaatsprinzip oder aus einer sinngemäßen Heranziehung des Rechtsgedankens privatrechtlicher Vorschriften.

Den Anwendungsbereich des Folgenbeseitigungsanspruchs umschreibt der VGH in Rn. 30 wie folgt:

„Der auf die Beseitigung der Folgen abgeschlossenen Handelns zielende Anspruch auf Folgenbeseitigung ist gegeben, wenn durch einen hoheitlichen, ein subjektives Recht des Betroffenen verletzenden Eingriff ein rechtswidriger Zustand entstanden ist, der noch andauert (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.1993 - 4 C 24.91 - BVerwGE 94, 100 Rn. 23 f.; Beschl. v. 37.3.1996 - 8 B 33.96 - Buchholz 415.1 Nr. 133; Urt. v. 17.1.1980 - 7 C 42.78 - BVerwGE 59, 319).“

Der Zustand ist rechtswidrig, wenn er auch künftig nicht geduldet werden muss. Zu ergänzen wäre, dass die Folgenbeseitigung dem Schuldner rechtlich und tatsächlich möglich und auch zumutbar sein muss. Geht es dabei um einen Anspruch auf Widerruf eines schlichten Verwaltungshandelns in Form einer (hier: politischen) Stellungnahme, besteht ein allgemeiner Folgenbeseitigungsanspruch nur in einem engen Rahmen. Dazu der VGH in Rn. 35:

„Die von dem Antragsteller beantragte „Richtigstellung“ zielt auf einen Widerruf der Aussage, dass die streitgegenständliche Veranstaltung durch das Stadtamt Durlach unterstützt werde. Einen Anspruch auf Widerruf besteht jedoch nur im Hinblick auf die Behauptung unrichtiger Tatsachen und Werturteilen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen. Unrichtig können grundsätzlich nur Tatsachenangaben sein, soweit sie der Wahrheit zuwiderlaufen (VG Köln, Beschl. v. 28.07.2023 - 13 L 616/23). In der (rechtswidrigen, da dem Grundsatz der Chancengleichheit zuwiderlaufenden, s.o.) Veröffentlichung liegt jedoch weder eine unrichtige Tatsachenbehauptung – das Stadtamt Durlach hat die Veranstaltung wie gezeigt de facto unterstützt – und auch kein auf sachfremden Erwägungen beruhendes Werturteil….“

Die Voraussetzungen für den mit Antrag 2 verfolgten allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch sind nicht erfüllt.

III. Bezogen auf den schlichten Unterlassungsanspruch (Anordnungsanspruch) ist auch der Anordnungsgrund (Rechtfertigung für eine Entscheidung im Eilverfahren) gegeben. Mit Blick auf die bevorstehenden Kommunalwahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament ist es der AfD nicht zumutbar, auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden, sie kämen zu spät.

Ergebnis:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zum Teil begründet. Der Stadt D wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, zur Teilnahme an der Veranstaltung „Durlach leuchtet für Demokratie“ am … offiziell durch das Stadtamt einzuladen und das zur Werbung im Vorfeld erstellte Plakat sowie den Pressetext zur Veranstaltung durch das Stadtamt zu verbreiten. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

(Beschluss vom 13.03.2024; 1 S 401/24)