BGH zur analogen Anwendung des § 906 II 2 BGB im Verhältnis zwischen Wohnungseigentümern

A. Sachverhalt

Die Beklagte betrieb im dritten Obergeschoss eines Gebäudes ein sog. ambulantes Operationszentrum. In dem darunter liegenden Stockwerk befand sich die Praxis eines Arztes (im Folgenden: Versicherungsnehmer), dessen Betriebsunterbrechungs- und Inhaltsversicherer die Klägerin ist. Das Grundstück ist nach dem Wohnungseigentumsgesetz geteilt. Sowohl der Beklagten als auch dem Versicherungsnehmer waren die von ihnen genutzten Räume jeweils mietweise überlassen worden, der Beklagten direkt von dem  Wohnungseigentümer, dem Versicherungsnehmer von einem Zwischenvermieter, der die Räume seinerseits von einem Wohnungseigentümer angemietet hatte.

Eines Nachts löste sich im Sterilisationsraum der Beklagten eine Schlauchverbindung, wodurch es zu einem Wasseraustritt und zu Schäden auch in den Praxisräumen des Versicherungsnehmers kam. Ob die Beklagte an dem Wasseraustritt ein Verschulden trifft, lässt sich nicht mehr aufklären. Den dem Versicherungsnehmer entstandenen Schaden in Höhe von ca. 150.000,00 € glich die Klägerin aus und verlangt nun den genannten Betrag von der Beklagten.

B. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes

Der Bundesgerichtshof (Urt. v. 25.10.2013, Az. V ZR 230/12) bejaht dem Grunde nach eine Haftung der Beklagten, weist die Rechtssache aber zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurück.

Der Klägerin als Versicherin des geschädigten Arztes steht aus eigenem Recht kein Anspruch zu. Womöglich sind aber – infolge der Zahlung der Klägerin an ihren Versicherungsnehmer – die dem Versicherungsnehmer zustehenden Ansprüche an die Klägerin gemäß  § 86 I 1 VVG (§ 67 VVG a.F.) übergegangen. Zu prüfen ist damit, ob dem Versicherungsnehmer Ansprüche gegen die Beklagte zustanden.

I. Verschuldensabhängige Ansprüche

Da sich nicht feststellen lässt, ob die Beklagte an dem Wasseraustritt ein Verschulden trifft, scheiden verschuldensabhängige Ansprüche (bspw. aus §§ 823 ff. BGB) aus. Auch sind vorliegend keine Anspruchsgrundlagen ersichtlich, wonach das Verschulden der Beklagten vermutet wird (bspw. § 280 I BGB, § 831 BGB oder § 18 StVG). Eine vertragliche oder vertragsähnliche Beziehung zwischen dem Versicherungsnehmer und der Beklagten bestand nicht. Zwar besteht zwischen den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft ein gesetzliches Schuldverhältnis (vgl. §§ 10 ff. WEG), doch waren der Versicherungsnehmer und die Beklagte nicht Mitglieder der Gemeinschaft, sondern nur Mieter. Auch aus einem „nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis“ folgt kein Schuldverhältnis im Sinne von § 280 I BGB, weil dieses Verhältnis die eigene Rechtsausübung beschränkt, aber keine weitergehenden Rechte und Pflichten begründet.

So hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahre 2001 ausgeführt:

„Er [der Gedanke der Mitverantwortung] ist die Folge der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der auch im Nachbarrecht gilt. Aus ihm hat das RG das so genannte nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis entwickelt; der BGH hat diese Rechtsprechung übernommen und weitergebildet. Zwar ergeben sich, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung immer wieder betont hat, die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn in erster Linie aus den gesetzlichen Bestimmungen des Nachbarrechts [§§ 906 ff. BGB]; sie haben dort eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Deshalb begründet der Gedanke von Treu und Glauben keine selbstständigen Ansprüche, sondern wirkt sich hauptsächlich als bloße Schranke der Rechtsausübung aus. Aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis entspringt nämlich die Pflicht zu gesteigerter gegenseitiger Rücksichtnahme, die in Ausnahmefällen dazu führen kann, dass die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig wird.“ (BGH NJW 2001, 3119 (3120 f.))

II. § 906 II 2 BGB

Daher kommt letztlich nur ein verschuldensunabhängiger Anspruch in Betracht. Ein solcher könnte aus § 906 II 2 BGB folgen.

§ 906 II 2 BGB gewährt demjenigen Grundstückseigentümer gegen den Störer einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich in Geld, der eine wesentliche Beeinträchtigung seines Grundstücks durch die Zuführung unwägbarer Stoffe durch ein anderes Grundstück nach § 906 II 1 BGB dulden muss und die Beeinträchtigung über das zumutbare Maß hinausgeht.

Ein unmittelbare Anwendung des § 906 II 2 BGB scheidet hier aus mehreren Gründen aus:

Der Versicherungsnehmer ist nicht Grundstückseigentümer, sondern als Mieter nur dessen berechtigter Besitzer. Er war auch nicht nach § 906 II 1 BGB verpflichtet, den Wasseraustritt zu dulden; eine rechtliche Duldungspflicht bestand nicht. Schließlich erfasst § 906 BGB nur die Zuführung unwägbare Stoffe, aber keine Grobimmissionen wie etwa den Austritt von Wasser.

III. § 906 II 2 BGB analog

Der Bundesgerichtshof hat den Anwendungsbereich des § 906 II 2 BGB in den letzten Jahrzehnten aber in mehreren Richtungen durch Analogien deutlich erweitert und einen allgemeinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch kreiert.

So kommt ein Anspruch analog § 906 II 2 BGB in Betracht, wenn der Grundstückseigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, die Einwirkung auf sein Grundstück gemäß § 1004 I BGB zu unterbinden. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Eigentümer unverschuldet die Beeinträchtigung faktisch dulden muss, weil er seinen Abwehranspruch nicht rechtzeitig geltend machen kann. Das hat der BGH in der Vergangenheit bspw. bejaht für einen umstürzenden Baum, einen übergreifenden Brand oder einen Wasserrohrbruch („1. Analogie“).

Auch hat er angenommen, dass der Anspruch aus § 906 II 2 BGB nicht beschränkt sei auf Fälle der Zuführung unwägbarer Stoffe, sondern auch auf Grobimmissionen Anwendung finde („2. Analogie“).

Schließlich könne der Anspruch nicht nur Grundstückseigentümern zustehen, sondern auch einem berechtigten Besitzer, der seinen Unterlassungsanspruch nach § 862 BGB nicht geltend machen konnte („3. Analogie“).

Diese Entwicklung der Rechtsprechung zeichnet der BGH in der aktuellen Entscheidung nach:

„a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II 2 BGB gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschreiten, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen nach § 1004 I BGB rechtzeitig zu unterbinden (Senat, Urteil vom 11. Juni 1999 - V ZR 377/98, BGHZ 142, 66, 67 f. mwN; Urteil vom 21. März 2003 - V ZR 319/02, NJW 2003, 1732, 1733). Wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, ist dieser Anspruch über den Wortlaut des § 906 II 2 BGB hinaus nicht auf die Folgen der Zuführung unwägbarer Stoffe beschränkt, sondern erfasst auch - worum es hier geht - die Störung durch sogenannte Grobimmissionen wie etwa Wasser (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 190; Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 376 Rn. 18).

b) Ebenfalls zutreffend legt das Berufungsgericht zugrunde, dass der Anspruch in entsprechender Anwendung von § 906 II 2 BGB auch dem berechtigten Besitzer zustehen kann, dessen Abwehranspruch aus § 862 I BGB aus tatsächlichen Gründen nicht geltend gemacht werden konnte (Senat, Urteil vom 23. Februar 2001 - V ZR 389/99, NJW 2001, 1865, 1866; BGH, Urteil vom 10. November 1977 - III ZR 157/75, BGHZ 70, 212, 220; je-6 weils mwN). Das ist deshalb gerechtfertigt, weil der berechtigte Besitzer seine Rechtsstellung unmittelbar oder - wie etwa in Fällen gestatteter Zwischenvermietung - mittelbar von dem Eigentümer ableitet und dadurch bei der gebotenen wertenden Betrachtung in das zwischen den Grundstückseigentümern bestehende nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis einrückt, welches insbesondere mit § 906 BGB als der Generalnorm des zivilrechtlichen Nachbarschutzes (PWW/Lemke, BGB, 8. Aufl., § 906 Rn. 1) die widerstreitenden gleichrangigen Eigentümerinteressen zum Ausgleich bringen soll (vgl. Senat, Urteil vom 21. Oktober 1983 - V ZR 166/82, BGHZ 88, 344, 346; Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 193). Schließlich kann auch der Benutzer des Grundstücks, von dem die Emissionen ausgehen, zum Ausgleich verpflichtet sein, sofern er die Nutzungsart bestimmt. Die Eigentumsverhältnisse sind insoweit weder im Bereich der unmittelbaren Anwendung von § 906 II 2 BGB noch im Bereich der entsprechenden Anwendung der Vorschrift entscheidend (vgl. Senat, Urteil vom 1. April 2011 - V ZR 193/10, NJW-RR 2011, 739 Rn. 8 mwN). Dass vorliegend weder der Versicherungsnehmer der Klägerin noch der Beklagte Grundstückseigentümer sind, steht einem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch danach ebenfalls nicht von vornherein entgegen (vgl. auch Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, aaO).“

Nicht entschieden hatte der BGH bislang die Frage, ob § 906 II 2 BGB auch auf solche Fälle analoge Anwendung findet, in denen ein Sondereigentum (vgl. § 5 WEG) durch Einwirkungen beeinträchtigt wird, die von einem anderen Sondereigentum ausgehen.

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus. An Ersterem könnte es deswegen fehlen, da die Vorschriften über die Gemeinschaft von Wohnungseigentümern, die ein gesetzliches Schuldverhältnis bilden, womöglich eine abschließende Sonderregelung bilden. An Letzterem könnte es fehlen, da § 906 II 2 BGB in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich einen Eingriff „von außen“, also von einem Grundstück auf einen anderes, voraussetzt. Der BGH stellt zunächst den Meinungsstand in der Literatur und der Instanzrechtsprechung und seine eigene Rechtsprechung dar:

„aa) Während die herrschende Meinung die Voraussetzungen für einen Analogieschluss bejaht (OLG Stuttgart, NJW 2006, 1744; LG Bochum VersR 2004, 1454; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, 3. Aufl., § 906 Rn. 89; Münch-Komm-BGB/Säcker, 6. Aufl., § 906 Rn. 1; NK-BGB-Ring, 3. Aufl., § 906 Rn. 283a; PWW/Lemke, aaO, § 906 Rn. 10; Timme/Dötsch, WEG, § 15 9 Rn. 182; Wenzel, NJW 2005, 241, 244; wohl auch LG München I, ZMR 2011, 62, 63 f.; Riecke/Schmid/Abramenko, WEG, 3. Aufl., § 14 Rn. 8; Spielbauer/ Then, WEG, 2. Aufl., § 13 Rn. 16; Staudinger/Roth, BGB [2009], § 906 Rn. 70; Günther, VersR 2004, 1454; für eine entsprechende Anwendung jedenfalls dann, wenn sich die Sondereigentumseinheiten in verschiedenen Gebäuden befinden, LG Bonn, BeckRS 2007, 05000; eine Analogie in Betracht ziehend OLG München, NZM 2008, 211; Hogenschurz in Jennißen, WEG, 3. Aufl., § 14 Rn. 39; Klein in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 13 Rn. 140; vgl. auch Dötsch, ZMR 2006, 391, 392 f.; ders., NZM 2010, 607, 609 mwN), wenden die Vertreter der Gegenauffassung ein, mit Rücksicht auf den aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer resultierenden speziellen Schutz könne das Bestehen einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht angenommen werden (Schmidt, ZMR 2005, 669, 677; Becker, ZfIR 2010, 645, 647; wohl auch Briesemeister, ZWE 2010, 325; vgl. auch BayObLG, NJW-RR 1994, 718 u. NJW-RR 2001, 156 [Ablehnung von Schadensersatzansprüchen mangels Verschuldens ohne Erörterung einer analogen Anwendung von § 906 II 2 BGB]; eine Analogie jedenfalls zugunsten obligatorischer Nutzungsberechtigter von Sondereigentum ablehnend LG Konstanz, NJW-RR 2009, 1670, 1671; kritisch dazu Timme/Dötsch, WEG, § 15 Rn. 182).

bb) Verneint hat der Senat eine analoge Anwendung des § 906 II 2 BGB für das Verhältnis von Mietern bei Beeinträchtigungen, die von einer Mietwohnung innerhalb desselben (ungeteilten) Grundstückseigentums auf eine andere Mietwohnung einwirken (Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188), für das Verhältnis von sondernutzungsberechtigten Bruchteilseigentümern (Senat, Versäumnisurteil vom 10. Februar 2012 - V ZR 137/11, WM 2013, 231, 232) sowie für das Verhältnis von Wohnungseigentümern, wenn die Nutzung des Sondereigentums durch einen Mangel am Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt wird (Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 375 ff.). Bejaht hat er jedoch die entsprechende Anwendbarkeit nachbarrechtlicher Vorschriften für Streitigkeiten über die Bepflanzung benachbarter Gartenteile, an denen Sondernutzungsrechte verschiedener Wohnungseigentümer bestanden (Urteil vom 28. September 2007 - V ZR 276/06, BGHZ 174, 20, 22 f. Rn. 9; vgl. auch Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 Rn. 20 für den Fall, dass die Wohnungseigentümer nach der Teilungserklärung möglichst so zu stellen sind, wie sie bei Realteilung stünden). Ausdrücklich offen gelassen hat er, ob ein Ausgleichsanspruch unter Wohnungseigentümern besteht, wenn Sondereigentum beeinträchtigt wird durch Einwirkungen, die von einem anderen Sondereigentum ausgehen (Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 378 Rn. 25).“

1. planwidrige Regelungslücke

Der BGH entscheidet sich im Sinne der h.M. und bejaht die Möglichkeit einer Analogie. Zunächst führt er aus, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliege:

„(aa) Grundlage des Anspruches nach § 906 II 2 BGB ist ein billiger Ausgleich der gegenläufigen Interessen bei der Nutzung benachbarter Grundstücke auf der Grundlage eines zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtenden nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses (Senat, Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 376 Rn. 21). Zwischen Sondereigentümern besteht - wie nicht zuletzt die Vorschriften des § 14 Nr. 1 und § 15 III WEG belegen - ein gesetzliches Schuldverhältnis (vgl. auch Senat, Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 377 Rn. 24 mwN). Das daraus folgende Gebot der Rücksichtnahme auf die anderen Sondereigentümer ist den Verpflichtungen, die Grundstückseigentümern aus dem Nachbarverhältnis auferlegt sind, durchaus vergleichbar. Zwar haben die Wohnungseigentümer die Möglichkeit, Gebrauchsregelungen zum Schutz vor Schäden zu vereinbaren oder nach § 15 II WEG Mindeststandards zu beschließen. Diese Überlegung wird aber zum einen bereits dadurch deutlich relativiert, dass der einzelne Wohnungseigentümer bei Vereinbarungen auf die Mitwirkung sämtlicher und bei einer Beschlussfassung auf die Mehrheit der Miteigentümer angewiesen ist, und zum anderen dadurch, dass sich die Frage des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches in aller Regel nur in Fällen stellt, in denen aus tatsächlichen Gründen - etwa in Unkenntnis einer latenten Gefahr - die Bedrohungslage gerade nicht rechtzeitig abgewendet werden konnte (Dötsch, ZMR 2006, 391, 393).

(bb) Ob neben der in Rede stehenden entsprechenden Anwendung von § 906 II 2 BGB eine Verschuldenshaftung nach § 823 BGB in Betracht kommt, ist für die Frage der Gesetzesanalogie ohne Bedeutung (s. oben II.1.; vgl. auch OLG Stuttgart, NJW 2006, 1744; Wenzel, NJW 2005, 241). Der Umstand, dass das unter Wohnungseigentümern bestehende gesetzliche Schuldverhältnis den geschädigten Sondereigentümer bei Schadensersatzansprüchen gegen einen anderen Sondereigentümer hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast besser stellt (§ 280 I 2 BGB) als Grundstückseigentümer (§ 823 ff. BGB), zwischen denen regelmäßig keine Sonderverbindung existiert, ist nicht von einem solchen Gewicht, dass eine andere Beurteilung gerechtfertigt wäre.

(cc) Anders wäre allerdings zu entscheiden, wenn das Wohnungseigentumsgesetz mit Blick auf das Verhältnis der Sondereigentümer eine abschließende Sonderregelung enthielte. Das ist jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil es keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, dass einem Wohnungseigentümer, dessen Sondereigentum von einem anderen Sondereigentümer bei Bestehen einer Notstandslage beeinträchtigt wird, der Aufopferungsanspruch aus § 904 2 BGB zusteht. Dass zumindest grundsätzlich auch auf andere nachbarrechtliche Regelungen zurückgegriffen werden kann, hat der Senat bereits für das Verhältnis sondernutzungsberechtigter Wohnungseigentümer entschieden (Urteil vom 28. September 2007 - V ZR 276/06, BGHZ 174, 20, 22 f. Rn. 9; vgl. auch Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 Rn. 20); für das Verhältnis der Sondereigentümer untereinander kann nichts anderes gelten. Und anders als bei Beeinträchtigungen, die von dem Gemeinschaftseigentum ausgehen, besteht auch kein Konflikt mit der Sonderregelung des § 14 Nr. 4 Halbsatz 2 WEG. Deren Sachbereich ist nur betroffen, wenn auf das Sondereigentum im Interesse des Gemeinschaftseigentums eingewirkt wird oder Mängel von dem Gemeinschaftseigentum ausgehen, nicht aber, wenn Beeinträchtigungen von dem Sondereigentum eines anderen Miteigentümers herrühren (vgl. auch LG München I, ZMR 2011, 62, 63 f.).“

2. vergleichbare Interessenlage

Auch liege eine vergleichbare Interessenlage vor:

 „§ 906 II 2 BGB setzt in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich voraus, dass die Störung von einem anderen Grundstück herrührt (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 190), es sich also um einen grenzüberschreitenden “Eingriff von außen” handelt (Senat, Versäumnisurteil vom 10. Februar 2012 - V ZR 137/11, WM 2013, 231, 232 Rn. 9 mwN; PWW/Lemke, aaO, § 906 Rn. 10). Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Norm nur bei struktureller Vergleichbarkeit und nicht anders zu befriedigender Schutzbedürftigkeit analogiefähig ist (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 195; Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 376 Rn. 18). Entgegen der Revision stellt das Berufungsgericht dabei zutreffend nur auf das Verhältnis der Sondereigentümer und nicht auf das der Mieter ab, weil es bei der Frage, ob ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zu bejahen ist, um den Ausgleich gleichrangiger Eigentümerbefugnisse geht, an denen berechtigte Besitzer lediglich partizipieren. …

Anders als bei Beeinträchtigungen des Sondereigentums, die von dem Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentümer ausgehen, geht es bei von Sondereigentum herrührenden Beeinträchtigungen um eine Beeinträchtigung “von außen”; insoweit stehen sich strukturell keine gleichgerichteten Interessen gegenüber. Mit Blick auf das Sondereigentum verwirklicht sich in herausgehobenem Maße, dass es sich bei dem grundstücksgleichen Recht des Wohnungseigentums um “echtes Eigentum” im Sinne von § 903 1 BGB (vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1991 - V ZB 27/90, BGHZ 116, 392, 394; Urteil vom 1. Oktober 2004 - V ZR 210/03, NJW-RR 2005, 10 f.) handelt. Insoweit besteht kein Bruchteilseigentum mit ideellen Anteilen sämtlicher Wohnungseigentümer, sondern “Alleineigentum” an bestimmten dinglich-gegenständlich abgegrenzten Gebäudeteilen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Januar 1968 - V ZB 9/67, BGHZ 49, 250, 251 f.), mit denen der Wohnungseigentümer grundsätzlich nach Belieben verfahren und jeden anderen von Einwirkungen hierauf ausschließen kann (§ 13 I WEG). Dies erhellt, dass das Sondereigentum - auch in der Wahrnehmung des Rechtsverkehrs - als eine Art Ersatzgrundstück fungiert (zutreffend Dötsch, ZMR 2006, 391, 392). Anders als bei Beeinträchtigungen, die von dem Gemeinschaftseigentum ausgehen, besteht daher weder formal noch teleologisch Identität zwischen dem Grundstückseigentum, von dem die Störung ausgeht, und dem beeinträchtigten Grundstückseigentum mit der Folge, dass sich dieselben Miteigentümer gleichzeitig sowohl auf Störerseite als auch aufseiten des beeinträchtigten Eigentums befinden. Vielmehr stehen sich die Sondereigentümer ebenso mit gegensätzlichen Interessen gegenüber wie Grundstückseigentümer in den idealtypischen - unmittelbar von § 906 II 2 BGB erfassten - Fällen.“

3. Rechtsfolge

Damit liegen die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 906 II 2 BGB vor. Die Klägerin kann damit einen angemessenen Ausgleich in Geld fordern. Ihr steht kein („echter“) Schadensersatzanspruch im Sinne von §§ 249 ff. BGB zu, vielmehr kann sie (nur) einen nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bestimmenden Ausgleich verlangen, wonach der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung auszugleichen ist. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und in welcher Höhe ausgleichspflichtige Positionen bestehen, hat der BGH das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

C. Fazit

Eine äußerst examensrelevante Entscheidung, die sicherlich über kurz oder lang Eingang in entsprechende Prüfungsaufgaben (in beiden Examina) finden wird. Grund genug, sich im Rahmen der Examensvorbereitung wenigstens einmal intensiver mit Tatbestand und Rechtsfolgen des Anspruchs aus § 906 II 2 BGB analog auseinanderzusetzen. Ein wesentlicher Grundstein für den Klausurerfolg liegt in solchen Fällen sicherlich bereits darin, § 906 II 2 BGB analog als (noch einmal: verschuldensunabhängige!) Anspruchsgrundlage überhaupt zu erkennen. Das setzt allerdings die Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung in Grundzügen voraus, da selbst weit überdurchschnittliche Kandidaten sicherlich nicht ohne Weiteres in der Lage wären (oder den Mut hätten), in einer Klausursituation eine derart weitgehende Analogie herzuleiten.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die bekannte „Silvesterraketen-Entscheidung“ aus dem Jahre 2009 verwiesen. Darin hat der BGH entschieden, dass ein Anspruch aus § 906 II 2 BGB voraussetzt, dass das beeinträchtigende Verhalten dem Bereich der konkreten Nutzung des Grundstücks zuzuordnen ist und einen sachlichen Bezug zu diesem aufweist. Driftet eine Silvesterrakete ab und verursacht sie einen Brandschaden, so bestehe daher kein Anspruch aus § 906 II 2 BGB analog:

„bb) Voraussetzung für eine Haftung des Eigentümers oder Nutzers nach § 906 II 2 BGB analog ist daher, dass das beeinträchtigende Verhalten dem Bereich der konkreten Nutzung des Grundstücks zuzuordnen ist und einen sachlichen Bezug zu diesem aufweist (Lemke, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 4. Aufl., § 906 Rdnr. 41). Nicht in den Anwendungsbereich des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs fallen demgegenüber diejenigen störenden Verhaltensweisen, die zwar auf dem Grundstück stattfinden, durch die jedoch die spezifische Beziehung der Grundstückseigentümer oder -nutzer zueinander nicht berührt wird. Dies kann insbesondere deshalb der Fall sein, weil eine Handlung nur gelegentlich des Aufenthalts auf dem Grundstück, wenn auch durch den Eigentümer oder Nutzer, vorgenommen wird, genauso gut aber an anderer Stelle vorgenommen werden könnte (vgl. Senat, BGHZ 175, 253 = NJW 2008, 334). Die Zuerkennung eines – verschuldensunabhängigen – Anspruchs scheidet in einer solchen Situation nach Sinn und Zweck der Haftungsnorm unabhängig davon aus, ob nach allgemeinen sachenrechtlichen Vorschriften (§§ 1004 I, 862 I BGB) ein Unterlassungsanspruch zugunsten des Nachbarn besteht.

c) So verhält es sich im Streitfall. Zwar mag sich das Abschießen einer Feuerwerksrakete am Neujahrstag (noch) im Rahmen der hier maßgeblichen Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken bewegen. Ein darüber hinausgehender sachlicher Bezug zu diesem ist jedoch nicht erkennbar. Allerdings lässt sich dieser Bezug nicht schon mit der Begründung verneinen, dass ein Feuerwerk üblicherweise, wenn überhaupt, nur einmal im Jahr abgebrannt wird. Denn auch Maßnahmen, die, wie etwa im Bereich der Pflege des vorhandenen Pflanzen- und Baumbestandes, der Eigentümer oder Nutzer nur in größeren zeitlichen Abständen durchzuführen pflegt, können sich als grundstücksbezogen erweisen. Maßgeblich ist vielmehr, dass das Abschießen einer Silvesterrakete, sei es in der Silvesternacht, sei es – rechtlich erlaubt (§ 23 I der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 31. 1. 1991 [BGBl I, 169], zuletzt geändert durch Art. 390 der Verordnung vom 31. 10. 2006 [BGBl I, 2407]) – am Abend des Neujahrstags, ausschließlich der Befolgung eines gesellschaftlichen Brauchs aus Anlass des Jahreswechsels dient. Diese Handlung steht zu dem Grundstück, auf dem sie vorgenommen wird, in keinem sachlichen Zusammenhang. Das wird schon daraus deutlich, dass Silvesterfeuerwerkskörper vielfach nicht auf dem eigenen Grund und Boden, sondern im öffentlichen Raum – etwa auf Bürgersteigen, Straßen oder Plätzen – entzündet werden. Dabei wird die Wahl der Abschussstelle oftmals nicht das Ergebnis eines Überlegungsprozesses darstellen, sondern mehr oder weniger einer weitverbreiteten Übung entsprechend erfolgen. Durch das Abschießen einer Feuerwerksrakete auf dem eigengenutzten Grundstück ist somit nicht der nachbarschaftliche Nutzungskonflikt betroffen, der durch § 906 BGB einer sinnvollen Lösung zugeführt werden soll.“ (BGH NJW 2009, 3787 (3788 f.))

Dennoch sei davor gewarnt, in einer Klausur allzu vorschnell auf § 906 II 2 BGB analog „zuzusteuern“, nur weil entsprechende Entscheidungen mutmaßlich gerade „heiß“ sind. So haben nicht wenige Kandidaten in einer (Urteils-)Examensklausur im Jahre 2011 in Kenntnis der Silvesterraketen-Entscheidung einen Anspruch aus § 906 II 2 BGB analog hergeleitet, obwohl §§ 836, 837 BGB einschlägig waren.

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