BGH zu Aufklärungspflichten bei möglicher Erweiterung einer Operation

BGH zu Aufklärungspflichten bei möglicher Erweiterung einer Operation

Besteht eine Aufklärungspflicht im Falle einer ernsthaften Möglichkeit der Erweiterung einer Operation und besteht insofern eine „Sperrfrist“?

Zwei Tage vor einer geplanten Schulteroperation führte der beklagte Arzt mit dem Kläger ein Aufklärungsgespräch durch und der Kläger willigte ein. Kann er bei Änderung der Operationsmethode nun von dem Arzt Schadensersatz verlangen?

A. Sachverhalt

Der beklagte Arzt (B) führte zwei Tage vor einer Schulteroperation ein Aufklärungsgespräch durch und der Kläger (K) unterzeichnete eine entsprechende Einwilligungserklärung. Dort wurde

darauf hingewiesen, dass es trotz großer Erfahrung und äußerster Sorgfalt des Arztes in seltenen, unvorhersehbaren Fällen aufgrund unerwarteter Befunde oder technischer Probleme notwendig werden könne, das vorgesehene Verfahren zu erweitern, zu ändern oder die Arthroskopie als offene Operation fortzusetzen.

Dieser Fall trat ein. Postoperativ trat eine Infektion auf, sodass zwei erneute Operationen der Schulter erforderlich wurden.

K macht geltend, dass die ursprüngliche Operation ohne Einwilligung hinsichtlich der Erweiterung als offene Operation durchgeführt worden sei. Er begehrt Schadensersatz.

B. Entscheidung

K macht insofern einen entsprechenden Schadensersatzanspruch gegen B geltend.

I. § 280 I 1 BGB

K könnte von B Schadensersatz nach § 280 I 1 BGB verlangen. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung eines Behandlungsvertrages nach § 630a BGB setzt voraus:

  1. Behandlungsvertrag, § 630a BGB
  2. Pflichtverletzung
  3. Verschulden
  4. Schaden
  5. Kausalität (zwischen Pflichtverletzung und Schaden).

1. Behandlungsvertrag

Ein Behandlungsvertrag zwischen K und B über die Operation der Schulter zu einem entsprechenden Preis (essentialia negotii) ist zustande gekommen, § 630a BGB.

2. Pflichtverletzung

Ferner müsste B eine Pflicht aus dem Behandlungsvertrag verletzt haben. Grundsätzlich haftet ein Arzt

für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig ist und den Arzt ein Verschulden trifft. Dabei setzt eine wirksame Einwilligung des Patienten dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus (§ 630d II BGB).

a) Keine Verletzung der Aufklärungspflicht in inhaltlicher Hinsicht

In inhaltlicher Hinsicht hat B seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Die von K nach der Aufklärung erfolgte Einwilligung erfasste auch die erfolgte Operationserweiterung.

b) Keine Verletzung der Aufklärungspflicht in zeitlicher Hinsicht

Auch in zeitlicher Hinsicht hat B seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Die unmittelbar im Anschluss an das Aufklärungsgespräch erfolgte Einwilligung ist nicht unwirksam.

Wie der Senat … entschieden hat, sieht die Bestimmung in § 630e II 1 Nr. 2 BGB keine vor der Einwilligung einzuhaltende „Sperrfrist“ vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde. Sie enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste, sondern kodifiziert die bisherige Rechtsprechung, der zufolge der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muss, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann.

Dass der Kl. unter den Umständen des Streitfalls nicht ausreichend Gelegenheit hatte, sich innerlich frei zu entscheiden…, ist weder ersichtlich noch dargetan.

c) Keine Unwirksamkeit der Einwilligung bezüglich der Operationserweiterung

Die bezüglich der Operationserweiterung erteilte Einwilligung ist nicht unwirksam. Grundsätzlich muss über die ernsthafte Möglichkeit einer Operationserweiterung im Vorfeld aufgeklärt werden.

Hat der Arzt vor der Operation Hinweise auf eine möglicherweise erforderlich werdende Operationserweiterung unterlassen und zeigt sich intraoperativ die Notwendigkeit einer Erweiterung, dann muss er, soweit dies möglich ist, die Operation beenden, den Patienten nach Abklingen der Narkoseeinwirkungen entsprechend aufklären und seine Einwilligung in den weitergehenden Eingriff einholen.

Eine solche Einwilligung hat K nach entsprechender Aufklärung durch B erteilt. Dementsprechend war B nicht nur auf die ursprünglich angedachte Operationsmethode beschränkt, sondern er konnte aufgrund der eingetretenen Komplikationen in die andere Operationsmethode wechseln.

Ergebnis:

K hat gegen B keinen Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 I 1 BGB.

II. § 823 I BGB

Ein Anspruch auf Schadensersatz steht K gegen B auch nicht nach § 823 I BGB zu mangels Rechtswidrigkeit aufgrund der erteilten Einwilligung. (Das wurde vom BGH nicht angesprochen).

III. § 823 II BGB iVm § 223 StGB

Aus demselben Grund scheidet ein Schadensersatzanspruch des K gegen B nach §§ 823 II BGB iVm § 223 StGB aus. (Das wurde vom BGH ebenfalls nicht thematisiert).

C. Prüfungsrelevanz

Die Verletzung von Aufklärungspflichten und somit die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach § 280 BGB gehört zum üblichen Repertoire des Prüfungsrechts. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um Aufklärungspflichten im Rahmen der Durchführung eines Behandlungsvertrages.

Die Entscheidung ist prüfungsrelevant, da die Lösung eines entsprechenden Klausurfalles Kenntnisse der grundlegenden Strukturen des Zivilrechts erfordert und viele Themengebiete einbezogen werden können: Schadensersatzansprüche gem. § 280 I 1 BGB bei einem Behandlungsvertrag nach § 630a BGB sowie Deliktsrecht nach §§ 823 f. BGB.

(BGH Urt. v. 21.11.2023 – VI ZR 380/22)