BVerwG zur unionsrechtlichen Freizügigkeit bei Nichtanerkennung von mitgliedstaatlichen Hochschulprüfungen

BVerwG zur unionsrechtlichen Freizügigkeit bei Nichtanerkennung von mitgliedstaatlichen Hochschulprüfungen

Unsere Darstellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat besondere Klausurrelevanz. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sache im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde des K allerdings per Beschluss entschieden. Für Deine Klausur musst Du aber den prozessualen Aufbau beherrschen, sodass wir den Fall entsprechend als Klage vor dem Verwaltungsgericht aufbereitet haben.

Leitsatz:

Eine prüfungsrechtliche Anrechnungsregelung, die eine Gutschreibung von Noten für an anderen Hochschulen erbrachte Prüfungsleistungen im In- und Ausland ausschließt, stellt keine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts i.S.d. Art. 21 I AEUV dar.

A. Vereinfachter Sachverhalt

K studiert Betriebswirtschaft im Bachelorstudiengang an der Universität B in NRW. Nach einem Auslandssemester in Polen beantragt er bei B die Anerkennung seiner Noten aus seinen Studien- und Prüfungsleistungen in Polen. Der zuständige Vorsitzende des Prüfungsausschusses der B erkannte die Leistungen an, allerdings ausdrücklich ohne Übernahme der Benotung. K ist damit nicht einverstanden, zumal Prüfungsordnungen anderer Universitäten in NRW eine derartige Anrechnung vorsehen und die Entscheidung der B bewirke, dass Studenten von einem Auslandssemester in einem Mitgliedstaat der EU abgehalten würden. Er hat deshalb fristgemäß Klage vor dem VG erhoben und will wissen, ob er damit Erfolg hat.

Ordnung für die Prüfungen im Studium Betriebswirtschaftslehre

§ 14 Anrechnung von Studien- und Prüfungsleistungen

(2) Gleichwertige Studien- und Prüfungsleistungen, die in anderen Studiengängen oder an anderen Hochschulen im Geltungsbereich des GG erbracht wurden, werden auf Antrag angerechnet. Nicht bestandene, gleichwertige Prüfungsleistungen, die in anderen Studiengängen oder an anderen Hochschulen im Geltungsbereich des GG erbracht wurden, werden von Amts wegen angerechnet, gleichwertige Studien- und Prüfungsleistungen, die an Hochschulen außerhalb des Geltungsbereichs des GG erbracht wurden, werden auf Antrag angerechnet.

(6) Werden Leistungen auf prüfungsrelevante Leistungen angerechnet, so werden die dafür vorgesehenen Punkte ohne Note gutgeschrieben. Eine Berücksichtigung der Benotung in der Gesamtnote der Bachelorprüfung erfolgt nicht.

Hochschulgesetz des Landes NRW (HG)

§ 63a HG Anerkennung von Prüfungsleistungen und Studienabschlüssen

(1) Prüfungsleistungen, die in Studiengängen an anderen staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen, an staatlichen oder staatlich anerkannten Berufsakademien, in Studiengängen an ausländischen staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen oder in einem anderen Studiengang derselben Hochschule erbracht worden sind, werden auf Antrag anerkannt, sofern hinsichtlich der erworbenen Kompetenzen kein wesentlicher Unterschied zu den Leistungen besteht, die ersetzt werden; eine Prüfung der Gleichwertigkeit findet nicht statt.

Justizgesetz Nordrhein-Westfalen - JustG NRW

§ 110 Abs. 1 Satz 1 befreit von der Durchführung eines Vorverfahrens.

B. Entscheidung

Die Klage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit

1. K hat Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I VwGO eröffnet, weil der angestrebten Entscheidung mit § 14 Hochschulordnung eine Vorschrift zugrunde liegt, durch die ein Hoheitsträger einseitig berechtigt wird. Sachlich zuständig ist nach § 45 VwGO das angerufene Verwaltungsgericht.

2. Beteiligte des Rechtsstreits sind K als Kläger und die Universität B als beklagte juristische Person (§§ 61 Nr. 1, 63 Nr. 1 und 2 VwGO).

3. Klageart ist eine Verpflichtungsklage, wenn der Kläger die Verurteilung der Universität zum Erlass eines Verwaltungsaktes erstrebt (§ 42 I VwGO, 2. Alternative). Ein Verwaltungsakt ist ein hoheitlicher Rechtsakt, mit dem eine Behörde bezogen auf einen Einzelfall verbindlich mit Außenwirkung Recht setzt (vgl. § 35 S. 1 LVwVfG). Die Anerkennung von Prüfungsleistungen enthält eine verbindliche Regelung eines Einzelfalls und hat deshalb gegenüber dem Antragsteller die Qualität eines Verwaltungsaktes.

4. Die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen einer Verpflichtungsklage beurteilen sich nach §§ 42 II, 68-74 VwGO. Das für die Klagebefugnis erforderliche subjektive Recht folgt aus § 14 II Hochschulordnung, der eine antragsgebundene individuelle Begünstigung des Klägers vorsieht. Das Vorverfahren entfällt nach Landesrecht (vgl. § 68 I S. 2 VwGO, 1. Alternative i.V.m. § 110 I JustizG NRW). § 74 VwGO wurde beachtet.

II. Begründetheit

Das Verwaltungsgericht verurteilt die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides zum Erlass des erstrebten Verwaltungsaktes, wenn dem Kläger der geltend gemachte Anspruch zusteht (§ 113 V S. 1 VwGO).

1. Anspruchsgrundlage ist § 14 II der Hochschulordnung, der die Anrechnung von Studien- und Prüfungsleistungen auch von Hochschulen außerhalb des Geltungsbereichs des GG vorsieht.

2. Es müssen die Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen haben. Formelle Bedenken bestehen nicht, der Kläger hat offenbar seinen erforderlichen Antrag an die zuständige Behörde gerichtet. Materiell bestehen allerdings Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen der Vorschrift.

a) Nach dem Wortlaut der Regelung werden zwar gleichwertige Studien- und Prüfungsleistungen von Hochschulen außerhalb des Geltungsbereichs des GG und damit etwa aus Polen angerechnet. An der Gleichwertigkeit bestehen offensichtlich keine Bedenken. Nach § 14 VI S. 1 der Ordnung werden die Leistungen jedoch ohne Note gutgeschrieben. Die Benotung erfolgt zudem nicht bei der Gesamtbewertung der Bachelorprüfung (Satz 2).

b) Die Ablehnung der Übernahme der Benotung könnte nicht auf § 14 VI gestützt werden, wenn die Vorschrift ihrerseits rechtswidrig und damit ungültig wäre. Eine Prüfungsordnung einer Universität ist eine normative Regelung einer Selbstverwaltungskörperschaft und damit eine Satzung. Sie ist rechtswidrig, wenn sie gegen höherrangiges Recht verstößt.

aa) § 63a HG befasst sich mit der Anerkennung von Prüfungsleistungen anderer Hochschulen. Die Vorschrift verpflichtet die Hochschulen des Landes zur Anrechnung (§ 63a I), nicht aber zur Übernahme der Benotung.

bb) Ein Verstoß gegen Art. 3 I GG scheidet ebenfalls aus, auch wenn der K darauf hinweist, dass an anderen Universitäten die Übernahme der Benotung in vergleichbaren Fällen erfolgt. Der Gleichheitssatz zwingt dazu, innerhalb ein und desselben Systembereichs Gleiches gleich zu behandeln. Deshalb ist auf den Selbstverwaltungs- und Verantwortungsbereich der jeweiligen Universität abzustellen, dort ist eine unzulässige Differenzierung ausgeschlossen.

c) K rügt, dass die Regelung deutsche Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einem anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben.

aa) Ein etwaiger Verstoß gegen die im primären Unionsrecht garantierte Freizügigkeit nach Art. 20 II S. 2a, 21 I AEUV hätte zur Folge, dass die beanstandete Regelung wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegengehalten werden könnte. Das Gericht dürfte – wenn es davon überzeugt ist – die Regelung nicht anwenden. Bei begründeten Zweifeln über die Reichweite der unionsrechtlich garantierten Freizügigkeit ist bei noch nicht entschiedenen Fragen eine Auslegungsvorlage an den EuGH nach Art. 267 I a) AEUV in Betracht zu ziehen.

bb) Diese Möglichkeiten scheiden jedoch aus, wenn in der Rechtsprechung bereits geklärt ist, dass die Grundfreiheit nicht die vom Kläger behauptete Reichweite hat.

Dazu führt das BVerwG aus:

Rn 14 „Die Frage bedarf, auch wenn man sie auf ihren allenfalls relevanten Teilgehalt einer faktischen Beschränkung des Freizügigkeitsrechts mit Blick auf an einer ausländischen Hochschule erworbene Noten zurückführt, keiner Klärung ….. Denn sie kann auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sowie des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres beantwortet werden. Danach ist geklärt, dass eine Beschränkung des in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV niedergelegten Freizügigkeitsrechts nur dann vorliegt, wenn eine Regelung seines Herkunftsstaats Nachteile für den Unionsbürger allein daran anknüpft, dass er von seinem Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Gebrauch gemacht hat. Das ist vorliegend nicht der Fall.

Rn 15 Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV hat jeder Unionsbürger und damit auch jeder deutsche Staatsangehörige das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Auf dieses Recht kann sich ein Unionsbürger auch gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat berufen. Die Mitgliedstaaten sind zwar nach Art. 165 Abs. 1 AEUV für die Lehrinhalte und die Gestaltung ihrer jeweiligen Bildungssysteme zuständig. Sie müssen aber diese Zuständigkeit unter Beachtung des Unionsrechts ausüben, und zwar insbesondere unter Beachtung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV.

Rn 16 Eine Hochschule eines Mitgliedstaats hat daher, wenn sie die Modalitäten der Anerkennung von Prüfungsleistungen regelt, dafür Sorge zu tragen, dass sie das Recht aller Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht ungerechtfertigt beschränkt. Eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV liegt dann vor, wenn eine nationale Regelung bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben. Denn die vom Vertrag auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Unionsbürger gewährten Erleichterungen könnten nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die ihn allein deshalb ungünstiger stellt, weil er von ihnen Gebrauch gemacht hat.“

Die Regelung, dass anderweitig erworbene Hochschulleistungen angerechnet, jedoch nur ohne Noten gutgeschrieben werden, gilt nach § 14 II der Prüfungsordnung nicht nur begrenzt auf Leistungen von anderen Hochschulen der EU, sondern von allen anderen Bildungseinrichtungen schlechthin (§ 14 II S. 2). Für die Regelung ist der Sitz der Hochschule in Deutschland, einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Drittstaat völlig ohne Bedeutung.

Damit fehlt es an einer Beschränkung des Freizügigkeitsrechts nach Art. 20 II S. 2 Buchst. a, Art. 21 I AEUV. Die Vorschrift ist nur ausgelöst, wenn eine nationale Regelung eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben.

Ergebnis

Die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs liegen nicht vor. Die Verpflichtungsklage ist unbegründet, die Klage wird abgewiesen.

(BVerwG Beschluss v. 03.11.2023 (6 B 5/23))