BGH zu c.i.c. bei Immobilienkauf

BGH zu c.i.c. bei Immobilienkauf

Reicht die Einstellung von Unterlagen und Informationen in einen Datenraum?

Drei Tage vor dem notariellen Kaufvertragsabschluss – ohne die Käuferin darauf gesondert hinzuweisen – stellte die Verkäuferin Unterlagen in einen Datenraum ein, woraus sich ergab, dass auf die Käuferin zukünftig erhebliche weitere Kosten zukommen würden. Kann die Käuferin nun von der Verkäuferin Schadensersatz wegen c.i.c. (culpa in contrahendo = Verschulden bei Vertragsverhandlungen) verlangen?

A. Sachverhalt

Die beklagte Verkäuferin verkaufte der Klägerin mit notariell beurkundetem Vertrag vom 25.3.2019 (Montag) mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex für 1.525.000 Euro. Dabei wurde die Sachmängelhaftung ausgeschlossen. Die Verkäuferin stellte in einem für die Käuferin zugänglichen virtuellen Datenraum Unterlagen zum Kaufobjekt ein. Drei Tage vor dem Kaufvertragsabschluss am 22.3.2019 (Freitag) fügte sie dort ein Protokoll der Eigentümerversammlung vom 1.11.2016 ein, in dem die Verteilung der Kosten i.H.v. 50.000.0000 Euro für einen bereits geplanten umfangreichen Umbau beschlossen wurde. Dieser Beschluss wurde angefochten und das Verfahren endete im Januar 2020 mit einem Vergleich, wonach von jedem Eigentümer der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage von 750.000 Euro erhoben werden sollte. Die Käuferin, die mittlerweile auch Eigentümerin geworden war, erklärte daraufhin im März 2020 die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung und vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Die Käuferin verlangt von der Verkäuferin vorrangig die Freistellung von den zur Kaufpreisfinanzierung eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten Zug um Zug gegen Rückübereignung der Gewerbeeinheiten.

B. Entscheidung

Die Käuferin macht insofern einen entsprechenden Schadensersatzanspruch geltend.

I. §§ 437 Nr. 2, 280, 281, 283, 311a BGB

Die Käuferin könnte von der Verkäuferin Schadensersatz in Form der Freistellung von den zur Kaufpreisfinanzierung eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten nach §§ 437 Nr. 2, 280, 281, 283, 311a BGB verlangen (Bei §§ 281, 283, 311a BGB handelt es sich um jeweils eigenständige Anspruchsgrundlagen).

1. Kaufvertrag

Ein Kaufvertrag zwischen der Verkäuferin und der Käuferin über die genau bezeichneten Gewerbeeinheiten zu einem Kaufpreis von 1.525.000 Euro (essentialia negotii) in notariell beurkundeter Form ist zustande gekommen, §§ 433, 311b I 1 BGB. (Hier hätte nun die Nichtigkeit ex tunc nach § 142 I BGB aufgrund der erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. § 123 I 1. Alt. BGB geprüft werden müssen. Dies hat der BGH dahinstehen lassen – der Anspruch scheitert aufgrund eines fehlenden Gewährleistungsgrundes, s. 2.)

2. Gewährleistungsgrund bei Gefahrübergang

Zudem müsste ein Gewährleistungsgrund bei Gefahrübergang vorgelegen haben, vgl. § 434 I BGB. Es liegt jedoch weder ein Sachmangel nach § 434 BGB noch ein Rechtsmangel nach § 435 BGB vor.

Die Kl. leitet Ansprüche nicht aus dem Zustand des Gebäudes ab, namentlich nicht aus einer von ihr nicht erkannten Sanierungsbedürftigkeit, sondern daraus, dass die Bekl. sie ihrer Ansicht nach nicht hinreichend über eine konkret drohende Sonderumlage iHv bis zu 50 Mio. EUR aufgeklärt haben. Der Beschluss einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer … über die Erhebung einer Sonderumlage ist weder eine Eigenschaft des Gebäudes noch … ein Recht Dritter in Bezug auf den Kaufgegenstand iSv § BGB § 435 S. 1 BGB. Das Teileigentum wird durch einen solchen Beschluss nicht belastet und der Teileigentümer in seiner Nutzungs- und Verfügungsbefugnis nicht beschränkt.

(Auf eine etwaige Unwirksamkeit des Haftungsausschlusses nach § 444 aufgrund arglistiger Täuschung musste der BGH insofern nicht mehr eingehen.)

Ergebnis:

Ein Anspruch der Käuferin gegen die Verkäuferin auf Schadensersatz nach §§ 437 Nr. 2, 280, 281, 283, 311a BGB scheidet aus.

II. c.i.c. §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB

Die Käuferin könnte von der Verkäuferin Schadensersatz aus c.i.c. nach §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB verlangen (vertragsähnlicher Schadensersatzanspruch).

1. Schuldverhältnis

Durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ist ein vorvertragliches Schuldverhältnis entstanden nach § 311 II Nr. 1 BGB.

2. Pflichtverletzung

Ferner müsste die Verkäuferin eine Pflicht verletzt haben. Nach § 241 II BGB verpflichtet das Schuldverhältnis jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Die Verkäuferin könnte eine entsprechende Aufklärungspflicht verletzt haben.

a) Keine allgemeine Aufklärungspflicht der Verkäuferin

Eine allgemeine Aufklärungspflicht besteht nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH besteht bei Vertragsverhandlungen zwar keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen.

b) Aufklärungspflicht bei wesentlicher Bedeutung für Käuferin

Jedoch besteht eine Aufklärungspflicht der Verkäuferin für solche Umstände, die für die Käuferin von wesentlicher Bedeutung sind.

Allerdings besteht auch bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Vertragsanschauung redlicherweise erwarten darf. Ein solcher Umstand kann auch dann vorliegen, wenn er geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.

Nach diesem Maßstab musste die Verkäuferin die Kl. – auch ungefragt – darüber aufklären, dass bauliche Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum im Kostenumfang von bis zu 50 Mio. EUR ausstanden. Dieser Kostenumfang war für die Kl. zweifelsohne von erheblicher Bedeutung.

c) Kein Entfallen der Aufklärungspflicht bei Zurverfügungstellung von Unterlagen in Datenraum

Zwar hatte die Käuferin mit der Zurverfügungstellung der Unterlagen in dem virtuellen Datenraum am 22.3.2019 die Möglichkeit der Kenntnisnahme von den auf sie etwaig zukommenden Zusatzkosten. Aber:

Die für den Käufer bestehende Möglichkeit, sich die Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand selbst zu verschaffen, schließt die Pflicht des Verkäufers zur Offenbarung nicht von vornherein aus. So darf ein verständiger und redlicher Verkäufer zwar davon ausgehen, dass bei einer Besichtigung ohne Weiteres erkennbare Mängel auch dem Käufer ins Auge springen werden und deshalb eine gesonderte Aufklärung nicht erforderlich ist. Konstellationen, in denen dem Käufer auf andere Weise die Möglichkeit gegeben wird, sich die Kenntnis selbst zu verschaffen, stehen der Besichtigungsmöglichkeit aber nicht ohne Weiteres gleich. Mit Blick auf übergebene Unterlagen ist eine Gleichstellung nur dann gerechtfertigt, wenn ein Verkäufer aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zweck allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird. Solche Umstände liegen etwa vor, wenn der Verkäufer dem Käufer im Zusammenhang mit möglichen Mängeln ein Sachverständigengutachten überreicht.

Diese Rechtsprechung ist sinngemäß auf den Fall zu übertragen, dass der Verkäufer einen Datenraum mit Unterlagen zu dem Kaufobjekt einrichtet und dem Käufer hierauf Zugriff gewährt.

Ist allerdings im Einzelfall die Erwartung gerechtfertigt, dass der Käufer bestimmte, von dem Verkäufer in dem Datenraum bereit gestellte Informationen – etwa im Rahmen einer Due Diligence – wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung einbeziehen wird, ist eine gesonderte Aufklärung durch den Verkäufer nicht erforderlich.

Die Kl. hatte ohne gesonderten Hinweis auf das neu eingestellte Dokument keinen Anlass, in dem Zeitfenster zwischen dem Einstellen des Protokolls am Freitag, dem 22.3.2019, und dem Notartermin am Montag, dem 25.3.2019 um 10 Uhr noch einmal Einsicht in den Datenraum zu nehmen.

3. Verschulden

Das Verschulden wird nach § 280 I 2 BGB vermutet.

4. Schaden

Ein Schaden und somit ein unfreiwilliges Vermögensopfer besteht nach der von § 249 I BGB vorausgesetzten Differenzhypothese (=Differenz zwischen zwei Vermögenslagen, also zwischen der realen und der hypothetischen) durch die für den Kaufpreiszahlungsanspruch eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten. Der Schadensausgleich erfolgt durch Freistellung von diesen Verbindlichkeiten.

5. Kausalität

Schließlich ist die Pflichtverletzung auch für den eingetretenen Schaden kausal. Hätte die Verkäuferin die Käuferin ordnungsgemäß aufgeklärt, hätte diese den Kaufvertrag nicht (oder nicht so) geschlossen.

Ergebnis:

Die Käuferin hat gegen die Verkäuferin einen Anspruch auf Schadensersatz aus c.i.c. nach §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB.

III. § 823 II BGB iVm § 263 StGB

Ferner könnte die Käuferin von der Verkäuferin Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung unter den Voraussetzungen nach § 823 II BGB iVm § 263 StGB verlangen. (Das wurde vom BGH nicht weiter ausgeführt).

IV. § 826 BGB

Zudem kommt ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Betracht. (Das wurde vom BGH ebenfalls nicht weiter ausgeführt).

V. § 812 I 1, 1. Alt. BGB

Ein Anspruch der Käuferin kann sich nicht aus ungerechtfertigter Bereicherung in Form der Leistungskondiktion nach § 812 I 1, 1. Alt. BGB ergeben bzw. im Rahmen eines etwaigen Wertersatzanspruches nach § 818 II BGB. Der Anspruch ist dem Grunde nach auf die Herausgabe des Erlangten gerichtet.

Eine Befreiung von den Darlehensverbindlichkeiten scheidet dagegen als Anspruchsziel aus. Denn aus dem Darlehensvertrag hat die Verkäuferin keine Ansprüche erlangt; sie war nicht Vertragspartei.

(Insofern bedurfte es an dieser Stelle bei dem Prüfungspunkt „ohne Rechtsgrund“ nicht mehr der Prüfung der arglistigen Täuschung nach § 123 BGB.)

C. Prüfungsrelevanz

Die Verletzung von Aufklärungspflichten und somit die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen c.i.c. gehört zu den Klassikern des Prüfungsrechts. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um Aufklärungspflichten im Rahmen der Durchführung einer Due Diligence (=Überprüfung des Kaufgegenstandes in technischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht). Der BGH hat seine Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht der Verkäuferin bei wesentlicher Bedeutung für die Käuferin darauf übertragen.

Die Entscheidung ist höchst prüfungsrelevant, da die Lösung eines entsprechenden Klausurfalles Kenntnisse der grundlegenden Strukturen des Zivilrechts erfordert und sehr viele Themengebiete einbezieht: Arglistige Täuschung nach § 123 BGB, Gewährleistungsrecht gem. §§ 434 f. BGB, c.i.c. gem. §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB, Deliktsrecht nach §§ 823 f. BGB und Bereicherungsrecht gem. § 812 f. BGB.

(BGH Urt. v. 15.9.2023 – V ZR 77/22)