Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AEUV

Aufbau der Prüfung - Vorabentscheidungsverfahrens, Art. 267 AEUV

Das Vorabentscheidungsverfahren gehört zu den Verfahren vor dem EuGH und ist in Art. 267 AEUV geregelt. Beispiel: A und B schließen einen Kaufvertrag. Es kommt zum Streit wegen etwaiger Mängeln der Kaufsache. Der Streit landet vor einem deutschen Gericht. Nun hat der Richter Zweifel, wie er die Vorschriften des Gewährleistungsrechts im Hinblick auf die europäische Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auszulegen hat. In Betracht kommt hier ein Vorabentscheidungsverfahren, dass der Richter das Verfahren aussetzt und die Frage dem EuGH vorlegt. Das Vorabentscheidungsverfahren wird in zwei Schritten geprüft: Zulässigkeit und Begründetheit.

A. Zulässigkeit

Zunächst müsste das Vorabentscheidungsverfahren zulässig sein.

I. Zuständigkeit

Im Rahmen der Zulässigkeit setzt das Vorabentscheidungsverfahren zunächst die Zuständigkeit des EuGH voraus. Die Zuständigkeit des EuGH für das Vorabentscheidungsverfahren folgt aus Art. 267 AEUV und aus dem Umstand, dass in Art. 256 I AEUV nicht die Zuständigkeit des Gerichts begründet ist.

II. Vorlagegegenstand

Weiterhin verlangt das Vorabentscheidungsverfahren einen Vorlagegegenstand. Dies können die Auslegung der Verträge oder die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe sein. Bei der Auslegung der Verträge, geregelt als Klagegegenstand in Art. 267 I lit. a AEUV geht es um die Auslegung des AEUV oder des EUV, also um das Primärrecht. Die Gültigkeit bzw. Auslegung der Handlungen der Organe betrifft hingegen Sekundärrechtsakte, beispielsweise Verordnungen oder Richtlinien, geregelt in Art. 267 I lit. b AEUV. Wenn im Beispielsfall der Richter Zweifelt hat, wie er die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auslegen muss, geht es um die Auslegung einer Handlung der Organe, nämlich einer Richtlinie. Wenn es um die Prüfung der Gültigkeit geht, kann das Vorabentscheidungsverfahren mit der Nichtigkeitsklage kollidieren. Denn für die Nichtigkeitsklage gilt nach Art. 263 IV AEUV eine Frist. Sollte durch das Vorabentscheidungsverfahren die Frist umgangen sein, die für bestimmte Rechtsakte gilt, können diese nicht überprüft werden. Ferner geht es bei dem Vorabentscheidungsverfahren nur um die abstrakte Beantwortung einer gestellten Frage. Der EuGH entscheidet somit nicht den nationalen Rechtsstreit.

III. Vorlageberechtigung/Vorlagepflicht

1. Vorlageberechtigung

Darüber hinaus erfordert das Vorabentscheidungsverfahren eine Vorlageberechtigung. Vorlageberechtigt sind beim Vorabentscheidungsverfahren alle Gerichte der Mitgliedsstaaten. Das ergibt sich aus Art. 267 II AEUV.

2. Vorlagepflicht

Allerdings gibt es auch Gerichte, die vorlageverpflichtet sind, vgl. Art. 267 III AEUV. Dies sind die letztinstanzlichen Gerichte, wie beispielsweise der BGH oder das Bundesverwaltungsgericht. Dies gilt jedoch nicht für das Bundesverfassungsgericht, da es keine Superrevisionsinstanz darstellt. Es ist jedoch im Detail umstritten, was letztinstanzlich genau bedeutet. Dies wird in einem gesonderten Exkurs erläutert. Ferner bestehen im Vorabentscheidungsverfahren auch Ausnahmen hinsichtlich der Vorlagepflicht. Die Vorlagepflicht entfällt beispielsweise dann, wenn bereits eine Entscheidung des EuGH vorliegt. Gleiches gilt, wenn keine vernünftigen Zweifel bestehen. Zuletzt entfällt die Vorlagepflicht auch im einstweiligen, nationalen Rechtsschutz.

IV. Entscheidungserheblichkeit

Zuletzt setzt das Vorabentscheidungsverfahren im Rahmen der Zulässigkeit eine Entscheidungserheblichkeit voraus. Die Frage, die der Richter stellt, muss für den Ausgang des Verfahrens mithin von Bedeutung sein. Grundsätzlich hat der nationale Richter eine Einschätzungsprärogative, ob eine bestimmte Frage für den konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ausgenommen sind jedoch Evidenzfälle. Wenn die Frage offenkundig nichts mit dem konkreten Fall zu tun hat, wäre das Vorabentscheidungsverfahren folglich unzulässig.

B. Begründetheit (=Sachentscheidung)

Im Rahmen der Sachentscheidung beim Vorabentscheidungsverfahren beantwortet der EuGH die abstrakt gestellte Frage. Wenn Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens die Klärung der Ungültigkeit der Handlung der Organe ist und der EuGH dazu kommt, dass tatsächlich Ungültigkeit vorliegt, dann wirkt diese Entscheidung erga omnes, für und gegen jedermann, und bindet somit nicht nur die Beteiligten. Geht es um die Auslegung der Verträge oder der Handlungen der Organe, ergibt sich aus Art. 267 III AEUV, dass keine Vorlageverpflichtung mehr besteht.

Legt ein nationales Gericht die Frage nicht vor, weil es zu der Überzeugung gelangt, dass die Frage nicht entscheidungserheblich ist, geht der Betroffene jedoch von der Entscheidungserheblichkeit aus, kann auf europäischer Ebene ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden, vgl. Art. 258 ff. AEUV. Auf nationaler Ebene berechtigt eine Nichtvorlage zur Verfassungsbeschwerde. Dann kann gerügt werden, dass der gesetzliche Richter entzogen wurde, vgl. Art. 101 I 2 GG. Denn der EuGH ist gesetzlicher Richter i.S.v. Art. 101 I 2 GG. Erfasst sind jedoch nur Willkürfälle, wenn beispielsweise der Richter schlicht verkennt, dass es die Möglichkeit des Vorabentscheidungsverfahrens gibt.

 

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