Problem - Gestörte Gesamtschuld

Problem - Gestörte Gesamtschuld

Innerhalb der Gesamtschuld kann sich das Problem der gestörten Gesamtschuld stellen. Die gestörte Gesamtschuld spielt bei den Ausschlussgründen bei Schadensersatzansprüchen eine Rolle. 
Beispiel: Der Sohn S geht mit seinem Vater V auf der Alster paddeln. V kollidiert leicht fahrlässig mit dem Boot des X, der auch leicht fahrlässig gepaddelt hat. Daraufhin fällt die Kamera des S ins Wasser und wird vollkommen zerstört. Nun will S von V und/oder X Schadensersatz. S könnte nun gegen V einen Anspruch aus § 1664 BGB haben, der laut BGH nicht nur eine Haftungsprivilegierung, sondern auch eine eigene Anspruchsgrundlage darstellt. Diese schließt sich allerdings selbst aus, wenn der Vater nur die eigenüblicher Sorgfalt missachtet hat. Nach § 277 haftet er dann nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Hier handelte V nur leicht fahrlässig, daher besteht kein Anspruch aus § 1664 BGB. Weiterhin könnte S gegen V einen Anspruch aus § 823 I BGB haben. Allerdings greift auch hier im Merkmal des Verschuldens die Haftungsprivilegierung des § 1664 BGB, sodass auch dieser Anspruch ausscheidet. Allerdings hat S gegen X einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 I BGB, sofern dieser nicht (teilweise) ausgeschlossen ist (Beachte: Für X greift keine Haftungsprivilegierung). Hier könnte ein anteiliger Ausschluss nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld vorliegen. Eine gestörte Gesamtschuld ist gegeben, wenn eigentlich zwei Gesamtschuldner haften, aber bei einem eine Haftungsprivilegierung greift. Hier liegt eine gestörte Gesamtschuld vor, da V und X eigentlich als Gesamtschuldner i.S.d. § 840 BGB haften würden, wenn die Haftungserleichterung nicht zugunsten des V greifen würde. Fraglich ist, ob eine solche gestörte Gesamtschuld im Anspruch des S gegenüber X zu berücksichtigen ist. 

I. Wortlautlösung

Eine Ansicht löst die gestörte Gesamtschuld schlicht nach dem Gesetzeswortlaut. Liegt eine gestörte Gesamtschuld vor, führte dies zu einer vollen Haftung des übrig gebliebenen Schuldners, ohne dass dieser bei den anderen Beteiligten in Regress nehmen könnte. Hiernach würde die gestörte Gesamtschuld dazu führen, dass S gegen X einen Schadensersatzanspruch in voller Höhe hätte und X sich bei V nichts holen könnte, da V aufgrund der Haftungsprivilegierung nicht Gesamtschuldner ist. 

II. Lehre von der fingierten Gesamtschuld

Die Lehre von der fingierten Gesamtschuld behandelt die gestörte Gesamtschuld so, als ob eine Gesamtschuld vorläge. Danach würde X gegenüber S voll haften, könnte den V jedoch nach § 426 BGB analog in Regress nehmen, im Zweifel in hälftiger Höhe. 

III. Kürzung im Außenverhältnis (h.M.)

Die herrschende Meinung sieht eine Kürzung im Außenverhältnis vor, wenn eine gestörte Gesamtschuld gegeben ist. Dies würde zu einer anteiligen Haftung des übrig gebliebenen Schuldners führen. Im Beispielsfall wäre der Anspruch des S gegen X in hälftiger Höhe ausgeschlossen. X könnte jedoch auch keinen Regress nehmen. Als Argument wird ein gerechter Interessenausgleich angeführt. Denn § 1644 BGB wolle nur den Familienfrieden schützen, nicht jedoch den Schuldner ohne Haftungsprivilegierung belasten. Die Wortlautlösung gehe deshalb über das Ziel hinaus. Die Lehre von der fingierten Gesamtschuld führe dagegen zu einer Störung des Familienfriedens. Allein die herrschende Meinung führe im Falle der gestörten Gesamtschuld zur einer Berücksichtigung aller Interessenlagen.

 

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