Anwaltsklausur

Aufbau der Prüfung - Anwaltsklausur

In diesem Exkurs wird der Aufbau der Anwaltsklausur erörtert. Hierbei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: Anwaltsklausur aus „Kläger“-Sicht und die Anwaltsklausur aus „Beklagten“-Sicht. Beide Begriffe stehen aus folgenden Gründen in Anführungszeichen: Zum einen steht in der Situation der Anwaltsklausur aus „Kläger“-Sicht noch nicht fest, ob überhaupt geklagt wird. Zum anderen werden nicht nur Situationen der gegen den Beklagten gerichteten Klage erfasst, sondern beispielsweise auch Fälle, in welchen der Betroffene Antragsgegner einer einstweiligen Verfügung ist, gegen die er sich wehren möchte.

A. Aus "Kläger"-Sicht

I. Mandantenbegehren

Im Rahmen der Anwaltsklausur aus „Kläger“-Sicht ist zunächst das Mandantenbegehren herauszuarbeiten. Das Mandantenbegehren, das genauso überschrieben ist, sollte nicht mehr als eine halbe Seite betragen und umfasst die konkreten Ziele, die der Mandant geäußert hat. Insbesondere sollte das Mandantenbegehren nicht zu allgemein gehalten werden.

II. Materiell-rechtliches Gutachten

An das Mandantenbegehren schließt sich das materiell-rechtliche Gutachten an. 

1. Ansprüche des Mandanten

Dieses Gutachten befasst sich mit der Frage, welche Ansprüche der Mandant hat. Es beginnt mit der Überprüfung der Ansprüche. Zu beachten sind hierbei unstreitige Tatsachen und streitige Tatsachen, welche der Gegner vorbringen könnte. Mithin sind die voraussichtlichen Verteidigungsmöglichkeiten des Gegners zu berücksichtigen. Es macht beispielsweise keinen Sinn, wenn der Mandant behauptet, ihm stünde eine Mietforderung gegen den Gegner zu, es aber bereits bekannt ist, dass der Gegner die Miete bereits bar bezahlt hat, diese Tatsache außer acht zu lassen. Gegebenenfalls ist in diesem Rahmen eine Beweisprognose zu verfassen. Dies gilt dann, wenn der Mandant einen entscheidungserheblichen Umstand anders behauptet, als sein Gegner. Dann stellt sich zunächst die Frage, wer beweisbelastet. In aller Regel hat der Anspruchssteller alle anspruchsbegründenden Merkmale zu beweisen. Ist der Mandant beweisbelastet, ist abzuschätzen, ob es gelingt, den Beweis zu führen. Ist die Beweisprognose negativ, weil beispielsweise kein geeignetes Beweismittel vorhanden ist, steht dem Mandanten zwar ein Anspruch zu, dieser wird jedoch nur schwerlich durchzusetzen sein.

(2. Gegenansprüche des Gegners)

Weiterhin sind potentielle Gegenansprüche des Gegners ins Kalkül zu ziehen. Beispiel: Der Mandant behauptet, ihm stünde gegen seinen Nachbarn ein Anspruch auf Zahlung von 100 Euro zu. Im weiteren Verlauf erzählt der Mandant jedoch, dass der Nachbar gegen ihn seit Jahren Ansprüche in Höhe von 100.000 Euro hat. In einem solchen Fall, stellt sich die Frage, ob der Anspruch über die 100 Euro überhaupt weiter zu verfolgen ist oder die Situation nicht besser so stehen gelassen werden sollte, um keine schlafenden Hunde zu wecken.

III. Zweckmäßigkeit

Auf das materiell-rechtliche Gutachten folgt sodann die Zweckmäßigkeit. Im Rahmen der Zweckmäßigkeit geht es um die Taktik bezüglich des weiteren Vorgehens. Dieser Punkt ist weitaus umfangreicher, als es die meisten Klausurbearbeitungen erkennen lassen. Es geht mithin nicht nur darum, ob geklagt werden kann oder nicht. Beachte: Der Anwalt hat immer den sichersten Weg zu wählen. Der sicherste Weg ist derjenige, auf dem am ehesten und verlässlichsten das Mandantenziel erreicht werden kann. Dies wird nicht immer der kostengünstigste Weg sein. Im Bereich der Zweckmäßigkeit ist zwischen den prozessualen Maßnahmen und den materiellen/außerprozessualen Maßnahmen zu unterscheiden.

1. Prozessuale Maßnahmen

Zunächst ist somit zu klären, ob prozessuale Maßnahmen ergriffen werden sollen und welche die richtigen prozessualen Maßnahem sind. Daran schließt sich die Zulässigkeitsprüfung der gewählten prozessualen Maßnahme an. Unter Umständen können auch mehrere prozessuale Maßnahmen nebeneinander oder alternativ in Betracht kommen. Beispiel: Klage und Antrag im einstweiligen Rechtsschutz. Im Rahmen der Zulässigkeit ist insbesondere zu prüfen, welches Gericht zuständig ist. Darüber hinaus sind sich aufdrängende, problematische Punkte zu erörtern.

2. Materielle Maßnahmen

Sodann sind die materiellen Maßnahmen zu überprüfen. Dies können für den Fall, dass noch nicht geklagt wurde, auch außerprozessuale Maßnahmen sein. Die Rechtslage kann beispielsweise durch Kündigung, Widerruf, Aufrechnung oder Ähnliches beeinflusst werden. Hat der Verfasser zum Beispiel bereits im materiell-rechtlichen Gutachten festgestellt, dass zwar ein Anspruch besteht, aber vorher noch widerrufen werden muss, ist dies dem Mandanten zu empfehlen. Bei unsicherer Rechtslage kann auch ein Vergleichsangebot an die Gegenseite ausgesprochen werden. Allerdings sollte in Betracht gezogen werden, dass das Vergleichsangebot abgelehnt wird und ein entsprechender Plan B hierfür bereit gehalten werden. Zudem ist im Rahmen der materiellen Maßnahmen auch an die außerprozessuale Beweissicherung und an das Einholen von eidesstattlichen Versicherungen zu denken. Diese Liste ist nur beispielhaft und damit keinesfalls abschließend. Der Verfasser hat sich in die Situation des Anwalts zu versetzen, der den Mandanten optimal berät.

IV. Praktischer Teil

Zuletzt erfolgt die Verfassung des praktischen Teils. Dieses orientiert sich insbesondere an dem Grundsatz der Kongruent. Im praktischen Teil muss somit das umgesetzt werden, was zuvor im Gutachten und der Zweckmäßigkeit erarbeitet worden ist. Typische Aufgabenstellung ist der Entwurf einer Klage.

B. Aus "Beklagten"-Sicht

I. Mandantenbegehren

Die Anwaltsklausur aus „Beklagten“-Sicht beginnt wie die Anwaltsklausur aus „Kläger“-Sicht mit der Darstellung des Mandantenbegehrens. Ist der Mandant Adressat einer Klage, wird er wissen wollen, ob er sich erfolgreich gegen die Klage verteidigen kann. Möglicherweise ergibt sich aus dem weiteren Vorbringen auch, dass ihm eigene Ansprüche zustehen, die er auch geltend machen möchte.

II. Zulässigkeit

Weiterhin wird der Verfasser sich mit der Zulässigkeit, beispielsweise der Klage, auseinandersetzen müssen.

III. Begründetheit

Hieran schließt sich die Prüfung der Begründetheit, beispielsweise der Klage, an.

1. Ansprüche des Gegners

In diesem Rahmen werden zunächst die Ansprüche des Gegners geprüft. Wichtig ist, dass die Perspektive des Mandanten zugrunde gelegt wird. Der Verfasser muss mithin immer darüber nachdenken, wie er dem Mandanten helfen kann und nicht, wie er den Gegner unterstützen kann. Ist es an einer Stelle im Gutachten beispielsweise vertretbar, sich in die eine oder andere Richtung zu entscheiden, so ist darauf hinzuweisen. Allerdings ist gedanklich der Weg weiterzuverfolgen, welcher zugunsten des Mandanten ausfällt. Hierbei sind vier Dinge zu berücksichtigen: das Bestreiten von Tatsachen, rechtshindernde Einwendungen, rechtsvernichtende Einwendungen und rechtshemmende Einwendungen. Es ist zunächst darauf zu achten, welche Tatsachen, die vom Gegner behauptet werden, wirksam bestritten werden können. Ferner sind rechtshindernde und rechtsvernichtende Einwendungen vorzutragen. Beispiel: Erfüllung gemäß § 362 BGB. Gleiches gilt für rechtshemmende Einwendungen. Gegebenenfalls ist eine Beweisprognose zu erstellen.

(2. Gegenansprüche des Mandanten)

Sodann ist auf die Gegenansprüche des Mandanten einzugehen. Dieser Punkt kann bereits im Rahmen der rechtsvernichtenden Einwendungen oder rechtsvernichtenden Einwendungen eine Rolle spielen. Beispiel: Aufrechnung oder Zurückbehaltungsrecht.

IV. Zweckmäßigkeit

An die Begründetheitsprüfung schließt sich die Zweckmäßigkeit an. Im Rahmen der Zweckmäßigkeit geht es wiederum um das taktische Vorgehen. Das taktische Vorgehen gliedert sich wiederum in prozessuale und materielle Maßnahmen.

1. Prozessuale Maßnahmen

Beispiele für typische prozessuale Maßnahmen: Abgabe der Verteidigungsanzeige, Klageerwiderung, Anerkenntnis, Zulässigkeitsrüge, Hilfsaufrechnung, Widerklage.

2. Materielle Maßnahmen

Zu den materiellen Maßnahmen gehören unter anderem Kündigung, Widerruf, Erfüllung und Aufrechnung.

3. Sonstige Maßnahmen

Zu den sonstigen Maßnahmen gehört beispielsweise die Abgabe eines Vergleichsangebots bei unsicherer Rechtslage.

V. Praktischer Teil

Zuletzt erfolgt das Verfassen des praktischen Teils. Auch hier gilt der Grundsatz der Kongruenz. Es kann nicht zunächst im Gutachten herausgearbeitet werden, dass ein Anerkenntnis erfolgen soll, um dann im praktischen Teil eine Verteidigung gegen die Klage vorzunehmen. Typische Aufgabenstellung ist der Entwurf einer Klageerwiderung.

 

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