BGH: Rechtswirkungen eines Schadensersatzverlangens nach § 281 Abs. 4 BGB

BGH: Rechtswirkungen eines Schadensersatzverlangens nach § 281 Abs. 4 BGB

A. Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Rückzahlung der restlichen Anzahlung, die die Klägerin auf Grund eines Kaufvertrags über ein Fahrzeug geleistet hat.

Die Parteien schlossen am 4. Juli 2016 einen Kaufvertrag über einen gebrauchten Pkw zum Preis von 63.000 Euro. Ein Bevollmächtigter der Klägerin leistete eine Baranzahlung von 11.970 Euro. Die Parteien vereinbarten als Datum der Abholung und Restzahlung den 6. Juli 2016. Auf Wunsch der Klägerin wurde dieser Termin auf Freitag, den 8. Juli 2016, verschoben. An diesem Tag bat der Bevollmächtigte der Klägerin erneut um eine Verlegung des Abholtermins, da er sich wegen eines Todesfalls in Marokko befinde und erst in der kommenden Woche wieder in Deutschland sei. Der Geschäftsführer der Beklagten setzte daraufhin eine Frist zur Abholung und Bezahlung bis Montag, den 11. Juli 2016, 15 Uhr, und teilte mit, dass er andernfalls das Fahrzeug weiterverkaufen müsse. Am 11. Juli 2016 fragte er bei der Klägerin nach, ob der Termin eingehalten werde, erhielt aber keine Antwort.

Am 13. Juli 2016 erklärte er den Rücktritt vom Kaufvertrag und behielt sich Schadensersatzansprüche vor. Eine von der Klägerin noch am selben Tag für die Zeit ab dem 18. Juli 2016 angekündigte Abholung des Fahrzeugs lehnte der Geschäftsführer der Beklagten ab, erklärte erneut den Rücktritt vom Kaufvertrag und behielt sich wiederum Schadensersatzansprüche vor.

Am 18. Juli 2016 verkaufte die Beklagte das Fahrzeug anderweitig. Dies teilte sie der Klägerin unter Hinweis darauf mit, dass die Anzahlung abzüglich des Schadens zurückgezahlt werde.

Mit Anwaltsschreiben vom 22. Juli 2016 forderte die Klägerin die Beklagte zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung auf. Die Beklagte bezifferte mit Anwaltsschreiben vom 26. Juli 2016 ihren Schaden auf 4.727,50 Euro und erklärte, dass dieser Betrag von der Anzahlung abgezogen und diese ansonsten zurückbezahlt werde.

Daraufhin hat die Klägerin vor dem Amtsgericht Köln Klage erhoben, mit der sie die Rückzahlung der restlichen Anzahlung in Höhe von 4.727,50 Euro nebst Zinsen verlangt. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben.

Die Berufung der Beklagten zum Landgericht Köln hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

B. Überblick

Aus einem Kaufvertrag ist der Verkäufer verpflichtet, die Kaufsache an den Käufer zu übereignen und zu übergeben (§ 433 Abs. 1 Satz 1 BGB), während der Käufer den vereinbarten Kaufpreis zahlen und die Kaufsache abnehmen muss (Abs. 2). Dabei ist grundsätzlich keine Partei vorleistungspflichtig und kann deshalb die eigene Leistung verweigern, bis die Gegenleistung bewirkt ist (Einrede des nicht erfüllten Vertrages, § 320 BGB). Die Erfüllung beider Leistungen erfolgt also Zug um Zug (vgl. § 322 Abs. 1 BGB).

Vorliegend hatten die Parteien aber offensichtlich eine Anzahlung durch die Klägerin vereinbart, die diese auch geleistet hat. Die Gegenleistung – Eigentum und Besitz am Fahrzeug – hat sie jedoch nicht erhalten. Zwar war die Beklagte zunächst noch leistungsbereit, am Ende hat es ihr aber zu lange gedauert, bis die Klägerin das Auto abholen wollte, und sie hat es weiterverkauft.

Verletzt eine Partei ihre Hauptleistungspflichten aus dem Vertrag, kann die andere Partei entscheiden, wie sie damit umgehen möchte. Regelmäßig wird sie eine Frist für die Erbringung der Leistung setzen. Nach Ablauf dieser Frist, die angemessen gewesen sein muss, kann der Gläubiger entscheiden, ob er trotzdem weiter auf die Leistungserbringung wartet oder ob er den Vertrag beendet, indem er zurücktritt (§ 323 Abs. 1 BGB) oder Schadensersatz statt der (ganzen) Leistung verlangt (§ 281 Abs. 1 BGB).

Der Rücktritt macht aus dem ursprünglichen Vertrag ein Rückgewährschuldverhältnis nach § 346 BGB, das die Parteien verpflichtet, bereits empfangene Leistung zurückzugewähren. Auch hier werden beide Ansprüche dergestalt miteinander verknüpft, dass sie nur Zug um Zug zu erfüllen sind (§ 348 Satz 1 BGB).

Verlangt der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung, erlischt der Anspruch auf die Primärleistung aus dem Vertrag (§ 281 Abs. 4 BGB). Der Schuldner ist dann zur Rückforderung des Geleisteten berechtigt (Abs. 5).

Auch nach dem Rücktritt kann der Gläubiger noch Schadensersatz verlangen (§ 325 BGB).

Die Beklagte hat der Klägerin eine sehr kurze Abnahmefrist gesetzt, nach erfolglosem Ablauf dieser Frist den Rücktritt erklärt und das Fahrzeug schließlich weiterverkauft. Von der Anzahlung der Klägerin hat sie ihren Schaden, der wahrscheinlich in einem niedrigeren Kaufpreis besteht, abgezogen und den Restbetrag an die Klägerin ausgezahlt. Die Klägerin möchte auch die Differenz zurückerhalten, ist also der Auffassung, dass ein Schadensersatzanspruch der Beklagten nicht besteht.

C. Entscheidung

Der VIII. Zivilsenat des BGH hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Die Klägerin habe einen Anspruch auf vollständige Rückzahlung der Anzahlung aus §§ 346 Abs. 1, 323 Abs. 1, 2 BGB.

I. Rückabwicklungsverhältnis

Zwar sei der Rücktritt der Beklagten unwirksam gewesen, jedoch habe die Klägerin wirksam den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.

1. Rücktritt der Beklagten

Die Beklagte habe den Rücktritt vor Ablauf einer angemessenen Frist zur Abholung des Fahrzeugs durch die Klägerin erklärt (§ 323 Abs. 1 BGB). Das Berufungsgericht habe ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die von der Beklagten gesetzte Frist – vom 8. Juli bis zum 11. Juli – unangemessen kurz gewesen sei. Zwar führe die Unangemessenheit einer Frist nicht dazu, dass gar keine Nacherfüllungsfrist laufe, vielmehr werde eine angemessene Frist in Gang gesetzt, jedoch sei auch diese Frist zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs durch die Beklagte am 18. Juli 2018 noch nicht abgelaufen gewesen. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Fristsetzung entbehrlich gewesen sein könnte.

2. Rückforderungsanspruch über § 281 Abs. 5 BGB

Das Rückgewährschuldverhältnis ergebe sich auch nicht über § 281 Abs. 5 BGB. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs hätten aufgrund der fehlenden Fristsetzung nicht vorgelegen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führe ein auf Schadensersatz statt der Leistung gerichtetes Verlangen nur dann zum Erlöschen des Primäranspruchs (§ 281 Abs. 4 BGB), wenn die Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 bis 3 BGB vorliegen.

Dies ergebe sich bei zutreffender Auslegung des § 281 BGB, die über den Wortlaut der Norm hinausgehen müsse.

Nach der Systematik des § 281 BGB würden die Absätze 1 bis 3 die Voraussetzungen des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung enthalten und die Absätze 4 und 5 die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen. Es sei deshalb für den Gesetzgeber nicht erforderlich gewesen, in den Absätzen 4 und 5 die Voraussetzungen aus den Absätzen 1 bis 3 noch einmal ausdrücklich zu erwähnen.

Sinn und Zweck des § 281 BGB würden ebenfalls für diese Auslegung sprechen. Hintergrund der Regelung sei es, dass allein das Bestehen der Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 bis 3 BGB noch nicht zum Wegfall des Erfüllungsanspruchs führe. Vielmehr könne der Gläubiger auch weiterhin Erfüllung geltend machen und erhalte lediglich die zusätzliche Befugnis, sein Begehr auf das Schadensersatzverlangen umzustellen. Erst wenn er diese Befugnis ausgeübt habe, sei er an das Schadensersatzverlangen gebunden. Der Schuldner müsse dann nicht mehr damit rechnen, auf Erfüllung in Anspruch genommen zu werden, und könne seinerseits eine erbrachte Leistung erstattet verlangen. Dagegen bestehe kein berechtigtes Interesse des Schuldners daran, dass der Gläubiger seinen Erfüllungsanspruch schon dann verliert, wenn er Schadensersatz verlangt hat, ohne dass die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen.

Auch die Gesetzesbegründung und die Gesetzesmaterialien würden für diese Lösung sprechen.

3. Rücktritt der Klägerin

Die Entscheidung des Berufungsgerichts sei aber im Ergebnis dennoch richtig, weil sich der Anspruch der Klägerin aus § 346 Abs. 1 BGB daraus ergebe, dass sie selbst wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten sei.

Die Rücktrittserklärung liege spätestens in der Erhebung der Klage auf Rückerstattung der restlichen Anzahlung. Dies ergebe sich aus den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben. Die Beklagte habe die Klageerhebung nach den ihr bekannten oder jedenfalls erkennbaren Umständen als Rücktrittserklärung deuten müssen.

Die Klägerin habe sich schon vorgerichtlich nicht gegen den anderweitigen Verkauf des Fahrzeugs durch die Beklagte gewandt und weiterhin Erfüllung verlangt, sondern die Erstattung der Anzahlung gefordert. Dass sie dabei den Rücktritt und das Schadensersatzverlangen für rechtswidrig gehalten habe, sei unerheblich, da für die Beklagte klar erkennbar gewesen sei, dass die Klägerin dennoch nicht am Vertrag habe festhalten wollen.

Ebenso unerheblich sei es, dass die Klägerin ihr eigenes Verhalten rechtlich nicht als konkludent erklärten Rücktritt eingeordnet habe. Die rechtliche Bewertung der von den Parteien vorgebrachten Tatsachen sei allein Sache des Gerichts.

II. Rücktrittsvoraussetzungen

Die Klägerin sei nach § 323 Abs. 1 BGB zum Rücktritt berechtigt gewesen. Die Beklagte habe die ihr nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB obliegende Verpflichtung zur Übereignung und zur Übergabe des Fahrzeugs nicht erfüllt. Dass die Klägerin der Beklagten keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt habe, sei unerheblich, denn eine Fristsetzung sei nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich gewesen. Die Beklagte habe die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Sie habe unmissverständlich und eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie ihrer Lieferungspflicht unter keinen Umständen nachkommen werde. Sie sei unberechtigt vom Vertrag zurückgetreten und habe das Fahrzeug an einen Dritten verkauft und dies der Klägerin mitgeteilt. Zugleich habe sie von der Klägerin Schadensersatz statt der Leistung gefordert.

D. Prüfungsrelevanz

Die wichtigsten materiellen Kernaussagen der Entscheidung lauten:

- Ein Schadensersatzverlangen des Gläubigers nach § 281 Abs. 4 BGB führt erst dann zum Erlöschen des Primäranspruchs, wenn die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 281 Abs. 1 bis 3 BGB vorliegen.

- Eine unangemessen kurze Nacherfüllungsfrist führt nicht dazu, dass es an der Fristsetzung fehlt, sondern hat eine angemessene Frist in Gang gesetzt. In einer Klausur kommt es also nicht darauf an, wie lang die gesetzte Frist gewesen ist, sondern nur darauf, ob bereits eine angemessene Frist abgelaufen war, als der Gläubiger zurückgetreten ist oder Schadensersatz verlangt hat.

Die Entscheidung eignet sich darüber hinaus hervorragend, die Grundzüge der Auslegung von Gesetzen auf der einen und von Willenserklärungen auf der anderen Seite zu wiederholen.

I. Auslegung von Gesetzen

Geradezu schulmäßig legt der BGH § 281 BGB anhand der vier Auslegungsmethoden aus.

Eine Gesetzesnorm muss ausgelegt werden, wenn ihr Wortlaut mehrere Deutungen zulässt. Vorliegend kam es darauf an, ob der Wortlaut des § 281 Abs. 4 BGB, wonach der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangt hat, darauf hindeutet, dass dieses Verlangen für sich genommen genügt oder ob auch die Voraussetzungen der § 281 Abs. 1 bis 3 BGB vorliegen müssen.

1. Wortlaut

Die Auslegung orientiert sich zunächst am Wortlaut der Norm (grammatikalische/semantische Auslegung). In der Regel geht es dabei um das Verständnis mehrdeutiger Begriffe. Maßgeblich sind vor allem Wortsinn und Satzbau.

Liest man § 281 Abs. 4 BGB isoliert, liegt es nahe, allein das Schadensersatzverlangen für ausreichend zu halten, so dass es nicht darauf ankommen würde, ob der Gläubiger tatsächlich einen Schadensersatzanspruch hat.

Die Auslegung darf aber nicht beim Wortlaut enden.

2. Systematik

Bei der systematischen Auslegung wird die Stellung der Norm im Gesetz und ihr Zusammenhang mit anderen Vorschriften, die dieselbe Rechtsfrage betreffen, in den Blick genommen. Das müssen nicht zwangsläufig andere Paragrafen sein. So hat der BGH die systematische Auslegung auf § 281 BGB beschränkt und lediglich das Verhältnis der Absätze 4 und 5 zu den Absätzen 1 und 3 untersucht. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Absätze 1 bis 3 die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs statt der Leistung regeln und die Absätze 4 und 5 die Rechtsfolgen. Diese Rechtsfolgen müssten deshalb nicht ausdrücklich darauf hinweisen, dass sie nur unter bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen eingreifen.

3. Gesetzesentstehung und -begründung

Im Rahmen der historisch-genetischen Auslegung werden vor allem die Gesetzesmaterialien darauf untersucht, ob sich ihnen ein eindeutiger Regelungswille des Gesetzgebers entnehmen lässt. Hierzu gehören neben der amtlichen Gesetzesbegründung vor allem die Gesetzentwürfe und die Stellungnahmen im Gesetzgebungsprozess.

Vorliegend hat der BGH folgende Unterlagen herangezogen:

- die Begründung des ersten Gesetzentwurfs und

  • die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats zum überarbeiteten Gesetzentwurf.

Lesenswert ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH aus dem Jahr 2017 (II ZB 7/16). Der BGH hatte dort zu entscheiden, ob ein Verein, der mehrere Kindertagesstätten betreibt, gemeinnützig sein kann, was steuerrechtlich von großer Bedeutung ist. Er hat diese Frage nach umfassender Auslegung bejaht und dabei u.a. auf die Aussprache zum BGB vor dem Reichstag verwiesen:

„Der Gesetzgeber ging davon aus, dass auch ein solcher Verein in das Vereinsregister einzutragen sei, der neben seinen ideellen Hauptzwecken ein wirtschaftliches Geschäft betreibe, um sich hierdurch die zur Erreichung jener Zwecke erforderlichen Mittel zu verschaffen (Mugdan aaO S. 604). Im Gesetzgebungsverfahren ist ein Antrag des Abgeordneten von Strombeck erörtert worden. Dieser hatte eine klarstellende Formulierung des § 21 BGB beantragt, und ausgeführt, dass viele unter anderem gemeinnützige Vereine einen “kleinen wirthschaftlichen Geschäftsbetrieb” oder einen “unbedeutenden Restaurationsbetrieb” nebenbei haben (Mugdan aaO S. 997). Dieser Antrag ist jedoch abgelehnt worden (Mugdan aaO S. 999). Aus ihm kann deshalb eine einschränkende Auslegung nicht abgeleitet werden.“

Außerdem werden bei der historischen Auslegung auch die Umstände zur Zeit der Gesetzesentstehung in den Blick genommen. Die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie bislang erlassenen Gesetze wird man nur dann richtig verstehen und anwenden, wenn man die wirtschaftliche Situation ab Frühjahr 2020 vor Augen hat.

4. Sinn und Zweck

Die teleologische Auslegung fragt nach dem Sinn und Zweck eines Gesetzes und dem in ihm zum Ausdruck kommenden Ausgleich widerstreitender Interesse. Dabei werden nicht allein die Maßstäbe des historischen Gesetzgebers angelegt. Vielmehr wird geprüft, ob Entwicklungen, die der Gesetzgeber nicht vorhersehen konnte (bspw. elektronischer Rechtsverkehr), von dem konkreten Gesetzeszweck (bspw. Beweisfunktion schriftlicher Erklärungen) erfasst werden.

Vorliegend nimmt der BGH vor allem die Interessen des Gläubigers und des Schuldners in den Blick und wägt diese gegeneinander ab.

II. Auslegung von Willenserklärungen

Neben der Auslegung von § 281 Abs. 4, 5 BGB hat sich der BGH auch mit der Auslegung von Willenserklärungen beschäftigt. Er hat in der Klageerhebung der Klägerin eine konkludente Rücktrittserklärung gesehen.

Für die Auslegung von Willenserklärungen gilt § 133 BGB. Danach ist „der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften“. Es kommt also nicht darauf an, was der Erklärende gesagt, sondern was er gemeint hat. Deshalb spielt es auch grundsätzlich keine Rolle, wenn er das Gemeinte mit einem Begriff beschreibt, der tatsächlich etwas anderes bedeutet („falsa demonstratio non nocet“).

Wird die Willenserklärung einem anderen gegenüber abgegeben (empfangsbedürftige Willenserklärung), wie bspw. eine Rücktrittserklärung, müssen auch dessen Interessen berücksichtigt werden. Nach dem Sender/Empfängerprinzip ist das Verständnis des Empfängers entscheidend. Der Empfänger darf die Erklärung aber auch nicht so verstehen, wie es für ihn am günstigsten ist. Maßstab ist vielmehr ein objektiver Dritter als Empfänger (objektiver Empfängerhorizont). Es kommt deshalb darauf an, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte (§ 157 BGB) verstehen musste.

Der BGH legt dar, dass die Beklagte spätestens nach Zugang der Klage nicht mehr davon habe ausgehen dürfen, dass die Klägerin noch ein Interesse an der Lieferung des Fahrzeugs hat. Die Klägerin habe hinreichend deutlich gemacht, dass sie ihre Anzahlung erstattet bekommen möchte, was zwangsläufig voraussetze, dass der Kaufvertrag rückabgewickelt werden soll.

III. Auslegung von Verträgen

Der Vollständigkeit halber folgen hier noch die Grundzüge der Auslegung von Verträgen.

Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Da ein Vertrag durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande kommt, gilt für die Auslegung zunächst das zuvor Gesagte (erläuternde Auslegung).

Führt die Auslegung zu dem Ergebnis, dass der Vertrag lückenhaft ist, die Parteien also nicht alle regelungsbedürftigen Punkte berücksichtigt haben, werden diese Lücken im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen. Dabei wird der hypothetische Parteiwille erforscht, also gefragt, was die Parteien redlicherweise vereinbart hätten.

E. Für das Referendariat

Für die Entscheidung von Zivilklagen von Bedeutung ist der Verweis des BGH darauf, dass die Parteien das Gericht nicht hinsichtlich der rechtlichen Schlussfolgerungen binden können.

Im Zivilprozess gilt der Beibringungsgrundsatz. Das bedeutet, dass die Parteien den entscheidungserheblichen Sachverhalt vortragen müssen, das Gericht also nicht von Amts wegen ermittelt. Dabei muss jede Partei diejenigen Tatsachen darlegen (und ggf. beweisen), die für ihren Prozesserfolg günstig sind. Grundsätzlich sind das für den Kläger die anspruchsbegründenden Tatsachen und für den Beklagten sämtliche Tatsachen, die rechtshindernde oder -vernichtende Einwendungen bzw. rechtshemmende Einrede begründen.

Aufgabe des Gerichts ist es, aus diesen Tatsachenbehauptungen die maßgeblichen Tatsachen festzustellen. Unstreitige Tatsachen kann es seiner Entscheidung ohne Weiteres zugrunde legen (§ 138 Abs. 3 ZPO), streitige (erhebliche) Tatsachenbehauptungen müssen grundsätzlich von der beweispflichtigen Partei bewiesen werden.

Die rechtliche Bewertung des Sachverhalts obliegt allein dem Gericht, das dabei – wie der BGH noch einmal betont – nicht an die Auffassung der Parteien gebunden ist. Deshalb konnte der BGH die Klageerhebung als Rücktrittserklärung der Klägerin auslegen, also rechtlich bewerten, obwohl die Klägerin dies in den Vorinstanzen offenbar nicht so verstanden wissen wollte.

In einer Klausur darf man sich deshalb bspw. nicht davon in die Irre führen lassen, dass die Parteien einen Vertrag übereinstimmend als Leihvertrag bezeichnen, obwohl es sich um einen Mietvertrag handelt.