Rötzel-Fall

A. Sachverhalt

Der Angeklagte griff im Obergeschoß des mütterlichen Hauses die Hausgehilfin Resi G. tätlich an und brachte ihr eine tiefe Oberarmwunde und einen Nasenbeinbruch bei. Vor den fortdauernden Angriffen des Angeklagten versuchte die verängstigte Frau - davon geht das Schwurgericht aus -, durch das Fenster ihres Zimmers auf einen Balkon zu flüchten. Dabei stürzte sie ab und verletzte sich tödlich.

 

B. Worum geht es?

Der Angeklagte hat Resi G. körperlich misshandelt und sich damit wegen (vollendeter) Körperverletzung strafbar gemacht (§ 223 StGB). Im Mittelpunkt der Entscheidung steht indes die Frage nach der Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB (§ 226 StGB a.F.). Der Tatbestand dieser sog. Erfolgsqualifikation setzt bekanntlich voraus, dass durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht worden ist, wobei dem Täter hinsichtlich dieser Tatfolge Fahrlässigkeit zur Last fallen muss (§ 18 StGB). Dabei muss zwischen der Körperverletzung und dem Tod des Opfers ein sog. Unmittelbarkeitszusammenhang (oder tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang) vorliegen, wobei der BGH seit dem sog. Pistolenschlag-Fall davon ausgeht, dass Anknüpfungspunkt auch die Körperverletzungshandlung sein kann:

„Der Tatbestand dieser Bestimmung erfordert, daß der Tod des Verletzten durch die Körperverletzung verursacht worden ist. Unter Körperverletzung in diesem Sinne hatte die frühere Rechtsprechung, von der vereinzelt gebliebenen Entscheidung RG DR 1945, 22 abgesehen, nur die körperliche Beschädigung als solche verstanden; sie ließ die Ursächlichkeit des Verhaltens des Täters für den tödlichen Erfolg nicht genügen (so RGSt 44, 137; OGHSt 2, 335, 337; BGH 4 StR 378/53 vom 3. Dezember 1953 bei Dallinger MDR 1954, 150). Der Bundesgerichtshof hat demgegenüber in BGHSt 14, 110 [BGH 02.02.1960 - 1 StR 14/60] die Anwendungsmöglichkeit des § 226 erweitert. Er stellt nunmehr maßgeblich darauf ab, ob die Körperverletzungshandlung zum Tode des Angegriffenen geführt, ob also der der Verletzung zugrunde liegende Tätigkeitsakt zugleich auch den Tod bewirkt hat, und hält einen so beschaffenen Ursachenzusammenhang für ausreichend. Auch nach dieser Ansicht muß es freilich zu einer Verletzung gekommen sein, und zwar nicht nur einer solchen, wie sie an sich, als Durchgangsstadium, in jeder Tötung eingeschlossen ist.“

 

Resi G. hat die letzte Ursache für ihren tödlichen Sturz selbst gesetzt, indem sie aus dem Fenster gestiegen ist. Der BGH hatte damit die folgende Frage zu beantworten:

„Kommt eine Strafbarkeit nach § 227 StGB (§ 226 StGB a.F.) in Betracht, wenn ein selbstgefährdendes Verhalten des Opfers zum Tod führt?“

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH hebt im Rötzel-Fall (Urt. v. 30.9.1970 – 3 StR 119/70 (NJW 1971, 152 f.)) die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge auf und ändert den Schuldspruch dahin ab (§ 354 I StPO analog), dass der Angeklagte der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung schuldig ist.

 

Der BGH betont, dass – auch wenn man nicht an den Verletzungserfolg, sondern an die Verletzungshandlung anknüpft – der Tod unmittelbare Folge der Körperverletzung sein müsse. Etwas anderes lasse sich aus dem Pistolenschuss-Fall nicht herleiten:

„Einer Stellungnahme zu der Kritik an BGHSt 14, 110 [BGH 02.02.1960 - 1 StR 14/60] bedarf es nicht. Denn auch vom Boden der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Auffassung aus läßt sich die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge nicht rechtfertigen. Das Schwurgericht mißversteht sie, wenn es sich auf sie beruft. Auch wenn man an die Stelle der Körperverletzung im Sinne des Schädigungserfolgs die Verletzungshandlung treten läßt, so muß doch diese unmittelbar die Todesfolge bewirkt haben (so auch Dreher, StGB, 31. Aufl., § 226 Anm. 1). Daß der damals erkennende Senat so verstanden sein will, ergibt sich nicht nur aus dem Zusammenhang seiner Darlegungen, sondern vor allem daraus, daß er die Entscheidungen BGH 1 StR 360/53 vom 20. Oktober 1953 und 4 StR 378/53 vom 3. Dezember 1953 (bei Dallinger MDR 1954, 150/151) als nicht entgegenstehend bezeichnet, und daß er dazu ausführt, sie bezögen sich auf Fälle, in denen der Tod des Verletzten gerade nicht auf die Verletzungshandlung als solche zurückgeführt werden konnte (BGHSt 14, 113 [BGH 02.02.1960 - 1 StR 14/60]). Im gleichen, insoweit einschränkenden Sinne hat sich der Bundesgerichtshof in BGHSt 22, 362 (zu § 251 StGB) ausgesprochen.“

 

Der notwendige Unmittelbarkeitszusammenhang liege indes nicht vor, wenn der Tod unmittelbar erst durch das Eingreifen eines Dritten oder das Verhalten des Opfers selbst herbeigeführt wurde. In solchen Fällen habe sich im Tod nicht mehr die der Körperverletzung innewohnende typische Gefahr verwirklicht:

„Allerdings ist es nach der Einführung des § 56 StGB nicht mehr nötig, um eine nicht verschuldete Todesfolge von der Anwendbarkeit des § 226 StGB auszuschließen, mit der Forderung nach einem “typischen Kausalverlauf” Elemente der Vorhersehbarkeit in die Prüfung des Ursachenzusammenhangs einzufügen. Von dort her besteht ein solches Bedürfnis nicht mehr. Indessen ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 226 StGB, daß hier eine engere Beziehung zwischen der Körperverletzungshandlung und dem tödlichen Erfolg gefordert ist als sie ein Ursachenzusammenhang nach der Bedingungstheorie voraussetzt. Entgegengewirkt werden sollte mit der Schaffung der Vorschrift der der Körperverletzung anhaftenden spezifischen Gefahr des Eintritts des qualifizierenden Erfolges (vgl. Oehler ZStW 1969, 503, 513). In einem tödlichen Ausgang, der unmittelbar erst durch das Eingreifen eines Dritten oder das Verhalten des Opfers selbst herbeigeführt wurde, hat sich aber nicht mehr die dem Grundtatbestand (§ 223 StGB) eigentümliche Gefahr niedergeschlagen (vgl. Ulsenheimer GA 1966, 257, 268), die der Gesetzgeber im Auge hatte. Auch die hohe Mindeststrafe des § 226 StGB spricht für eine einschränkende Auslegung.

Gegen diese Ansicht kann nichts aus einem Vergleich mit der Rechtsprechung zu §§ 178 und 224 StGB hergeleitet werden, wie das Schwurgericht es versucht. Denn die Frage läßt sich nicht für alle erfolgsqualifizierten Delikte einheitlich lösen. Diese sind nicht völlig wesensgleich; es kommt auf die jeweilige tatbestandliche Ausgestaltung an.“

 

Es bleibe indes eine Strafbarkeit wegen §§ 223, 222, 52 StGB:

„Kann hiernach die Verurteilung aus § 226 StGB nicht bestehen bleiben, so ergibt sich doch aus den Feststellungen des Schwurgerichts ohne weiteres, daß sich der Angeklagte der leichten Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung (§§ 223, 222, 73 StGB) schuldig gemacht hat. Der Todeserfolg war auch für ihn voraussehbar. Was das Schwurgericht dazu ausführt (UA S. 39), ist rechtlich nicht zu beanstanden und gilt auch im Rahmen des § 222 StGB.“

D. Fazit

Im Rötzel-Fall lehnt der BGH den für § 227 StGB erforderlichen Unmittelbarkeitszusammenhang recht rigoros ab, wenn der Tod durch ein „dazwischentretendes” Opferverhalten eingetreten ist. In den kommenden Wochen werden wir indes neuere Entscheidungen vorstellen, in denen der BGH diese restriktive Linie aufgegeben hat.