BGH: Lässt der Suizid des Opfers den Gefahrzusammenhang nach § 238 III StGB entfallen?

A. Sachverhalt

A und die 1970 geborene B nahmen im Spätsommer 2014 eine Beziehung auf. Zu diesem Zeitpunkt war B gesund und litt nicht an einer psychischen Erkrankung. Die zunächst glückliche B störte sich im weiteren Verlauf der Beziehung am übermäßigen Alkoholkonsum des A und seinem zunehmend kontrollierenden, eifersüchtigen Verhalten ihr gegenüber. Am 23. Februar 2015 sprach sie ihn in einem Telefonat versehentlich mit dem Vornamen ihres früheren Freundes an, was der A zum Anlass nahm, ihr Untreue vorzuwerfen und die Beziehung umgehend zu beenden.
Daraufhin versandte der während des gesamten Tatzeitraums voll schuldfähige A bis zum 5. März 2015 u. a. zahllose Textnachrichten mit hasserfüllten Beleidigungen und Bedrohungen an B, verfolgte sie, ihre Eltern und Freunde mit Telefonanrufen sowie Sachbeschädigungen und versuchte ferner, B bei ihrem Arbeitgeber durch erfundene Mitteilungen in ein ungünstiges Licht zu rücken. Im Einzelnen ereignete sich Folgendes:
Allein innerhalb eines Zeitraums von etwa achtzehn Stunden nach dem Telefonat am Mittag des 23. Februar 2015, das Anlass für die Beendigung der Beziehung durch A war, schickte er B 111 WhatsApp-Nachrichten, die Beleidigungen und Drohungen bis hin zur Ankündigung ihrer baldigen Tötung enthielten. B nahm die Drohungen ernst, was A auch bewusst war. Ferner hinterließ A eine Vielzahl von Nachrichten ähnlichen Inhalts auf ihrem Anrufbeantworter. Sofort unternommene Bemühungen von B, ihm das Missverständnis am Telefon zu erklären, blieben erfolglos. Die Übersendung zahlloser Textnachrichten setzte A – nunmehr per SMS und E-Mail – auch fort, nachdem B ihn einige Zeit später bei WhatsApp gesperrt und ihren Facebook-Account geändert hatte. Er unterstellte ihr – tatsächlich haltlos – die Begehung diverser Straftaten und drohte ihr unter Fristsetzung für den Fall, dass sie ihm nicht “700 Dollar” zahle, mit der Erstattung einer Strafanzeige wegen Diebstahls bzw. Betruges. Weiter gab er vor, im Internet alles sehen zu können, was sie mache, da er sie und ihre Kommunikation in sozialen Netzwerken überwache.
Ab dem 25. Februar 2015 sandte A mehrere E-Mails mit beleidigenden und teilweise obszönen Mitteilungen über B an die Geschäftsleitung des Unternehmens, in dem sie beschäftigt war. In regelmäßigen Abständen erreichten B tagsüber und auch in den Nachtstunden weiterhin zahlreiche Telefonanrufe des A, so dass diese sich nur dadurch zu helfen wusste, dass sie ihr Telefon dauerhaft abstellte.
Auch persönlich suchte A mehrfach Kontakt zu B. Nachdem er schon wenige Stunden nach dem Telefonat am 23. Februar 2015 in ihrer Abwesenheit seine Sachen aus ihrer Wohnung geholt hatte, ließ diese das Wohnungsschloss austauschen; ein weiterer Versuch des A, sich kurze Zeit später erneut Zutritt zu verschaffen, blieb daher erfolglos, was er zum Anlass weiterer, drohender Sprachnachrichten nahm. Einen Tag später lauerte A der B auf dem Parkplatz ihrer Arbeitsstelle auf und überschüttete sie wegen ihrer angeblichen Untreue in aggressiver Weise mit Vorwürfen, zwei Tage später fuhr er mit einem Motorroller an dem Haus ihrer Eltern vorbei und machte eine drohende Geste, die die am Hauseingang stehende B wahrnahm.
Am Morgen des 25. Februar 2015 fand B ihren Pkw auf einem Parkplatz mit zwei von A zerstochenen Reifen vor, was dieser in einiger Entfernung, für B wahrnehmbar, grinsend beobachtete, bevor er mit seinem Pkw davonfuhr. Noch am selben Tag zerstach er zwei Reifen am Fahrzeug einer Freundin der B, am Abend des 27. Februar 2015 einen Reifen an dem Pkw ihres Vaters. Die jeweiligen Aufenthaltsorte der Fahrzeuge hatte er zuvor ausgekundschaftet. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 23. und dem 28. Februar 2015 riss er ferner das Namensschild von B an deren Wohnhaus ab. Am 5. März 2015 sandte A eine SMS an B mit massiv beleidigendem und drohendem Inhalt. Von einem Anruf des A am 24. März 2015 bei den Eltern der B, in welchem er mitteilte, er werde ihre Tochter “richtig fertigmachen”, erfuhr diese nichts mehr, da sie sich bereits in stationärer Behandlung befand.
Als Folge der Handlungen des A war B verängstigt, verzweifelt und nicht mehr arbeitsfähig. Sie hatte Angst, dass A ihr oder ihren Eltern etwas antun könnte. Da sie nicht mehr allein sein konnte, übernachtete sie dauerhaft bei ihren Eltern, wobei sie aber auch dort nur noch maximal zwei Stunden durchschlafen konnte. Bei ihr entwickelte sich bereits ab dem 24. Februar 2015 eine depressive Störung, die sich nachhaltig verstärkte, als ihr am 1. März 2015 die an ihren Arbeitgeber gerichteten, herabsetzenden und teilweise obszönen Nachrichten des A über sie bekannt wurden, worüber sie große Scham empfand und verzweifelt war. Sie glaubte, A habe ihr Leben zerstört und sie könne sich nirgends mehr sehen lassen. Noch am Nachmittag desselben Tages machte sie in der Wohnung ihrer Eltern Anstalten zu einem Selbsttötungsversuch mit einem eingeschalteten elektrischen Lockenstab in der Badewanne, schreckte jedoch letztlich vor der Durchführung zurück. Am darauffolgenden Tag erfolgte ihre Einweisung in die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses in N., wo sie mit der Diagnose einer schweren depressiven Episode behandelt wurde.
Ohne eine durchgreifende Besserung ihres Zustandes wurde sie am 29. April 2015 wieder entlassen. Trotz der kurz darauf begleitend zu ihrer beruflichen Wiedereingliederung aufgenommenen ambulanten psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung trug sie sich infolge der von A ausgelösten depressiven Störung weiterhin mit Suizidgedanken und verfasste am 13. Juli 2015 einen an ihre Eltern gerichteten, auf den 15. Juli 2015 datierten Abschiedsbrief. Darin entschuldigte sie sich u. a. bei ihren Eltern; niemand habe ahnen können, dass die Geschichte mit A so katastrophale Ausmaße annehmen würde. Ihr sei alles aus der Hand geglitten und sie habe nur noch Angst- und Panikgefühle. Sie habe auf keinen Fall wieder in die Klinik gehen wollen, da dies ihre Qual nur verlängert hätte. Sie habe ihren Lebensmut verloren und sei “am Ende”. Auch eine von ihrem Hausarzt wegen Suizidalität veranlasste teilstationäre psychiatrische Behandlung vom 20. August bis zum 9. Oktober 2015 in einer Tagesklinik, in der eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Störung mit aktuell schwerer depressiver Episode diagnostiziert wurden, brachte keine Besserung ihres Zustandes. Sie litt vielmehr weiterhin unter vermehrten Panikattacken und andauernden Angstzuständen. Da ihre behandelnden Ärzte von einer akuten, erheblichen und längerfristig bestehenden Suizidgefahr ausgingen, erklärte sich B am 9. Oktober 2015 zur Vermeidung der ihr für den Fall ihrer Weigerung in Aussicht gestellten zwangsweisen Unterbringung mit einer erneuten stationären Einweisung in die Klinik in N. einverstanden. Dort angekommen lehnte sie aber jegliche Behandlung ab, da sie sich davon keine Besserung ihres Zustandes versprach. Vielmehr übernachtete sie in der Folgezeit weiter bei ihren Eltern, setzte ihre ambulante Behandlung fort und nahm am 2. November 2015 Wiedereingliederungsmaßnahmen an ihrem Arbeitsplatz wieder auf. Ihre Angstzustände dauerten jedoch fort; sie konnte sich nur schlecht auf ihre Arbeit konzentrieren. Am 9. November 2015 begab sie sich nach der Arbeit in ihre eigene Wohnung. Dort fanden sie ihre Eltern am Nachmittag im Keller vor, wo sie sich mit einem Seil und einem Schal erhängt hatte.

Mit seinem gesamten Verhalten ging es A nicht um die Fortsetzung seiner Beziehung mit B, sondern darum, sie zu demütigen, in Angst zu versetzen und psychisch zu verletzen, ihr jegliches Sicherheitsgefühl zu nehmen, seine Präsenz in allen ihren Lebensbereichen zu demonstrieren und sie dadurch in ihrer gesamten Lebensführung nachhaltig zu beeinträchtigen. Dass sein Handeln B in letzter Konsequenz dazu veranlassen könnte, sich das Leben zu nehmen, hätte er dabei voraussehen und vermeiden können.

Strafbarkeit des A nach § 238 StGB?

Bearbeitervemerk: Legen Sie der Prüfung die seit dem 10.3.2017 geltende Fassung des § 238 StGB zugrunde.

 

B. Die Entscheidung des BGH Stuttgart (Beschl. v. 15.2.2017 – 4 StR 375/16)

 

Strafbarkeit wegen Nachstellung mit Todesfolge gemäß § 238 I Nr. 1, 2 und 4, III StGB

I. Tatbestand des Grunddelikts (§ 238 I StGB)
1.
Zunächst müsste A der B beharrlich und unbefugt nachgestellt haben.
Indem A der B auf dem Parkplatz ihrer Arbeitsstelle auflauerte und zwei Tage später an ihrem Elternhaus vorbeifuhr, sichte er die räumliche Nähe der B auf (§ 238 I Nr. 1 StGB). Indem er über WhatsApp, SMS und E-Mail zahlreiche Nachrichten an B versandte, sie in regelmäßigen Abständen anrief und ihr auch Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterließ, versuchte er, unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln Kontakt zu B herzustellen (§ 238 I Nr. 2 StGB). Durch die Todesdrohungen bedrohte A zudem die B mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit (§ 238 I Nr. 4 StGB).
Hierdurch hat A der B unbefugt nachgestellt.
Das geschah auch wiederholt, besonders hartnäckig und unter Missachtung des gegenstehenden Willens der B, also beharrlich. A konnte sich weder auf eine gesetzlich begründete Erlaubnis stützen noch stellte sein Verhalten eine zulässige Ausübung von Rechten dar. Auch war B damit weder ausdrücklich noch stillschweigend einverstanden. Damit handelte A auch unbefugt.

 

2.
Bislang handelte es sich bei § 238 I StGB um ein Erfolgsdelikt; das Verhalten des Täters musste zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führen. Seit dem 10.3.2017 genügt es, dass die Tathandlung des Täters geeignet ist, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen. Aus dem Erfolgsdelikt wurde also ein Eignungsdelikt. In der Gesetzesbegründung hat die Bundesregierung dazu ausgeführt (BT-Drs. 18/9946, S. 14):

„Mit der vorgeschlagenen Änderung des Grundtatbestandes der Nachstellung nach § 238 Absatz 1 StGB-E wird aus dem Erfolgs- ein Eignungsdelikt. Die Tathandlung muss geeignet sein, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers herbeizuführen, sie muss diese Verhaltensänderung des Opfers aber (noch) nicht herbeigeführt haben. Im Rahmen der Beurteilung kommt dabei in erster Linie dem Grad des psychischen Drucks, den der Täter mit seinem Verhalten erzeugt, Bedeutung zu. Als Indizien können unter anderem die Häufigkeit, Kontinuität und Intensität, ihr zeitlicher Zusammenhang und – auch weiterhin – die beim Opfer eventuell schon eingetretene Änderung der Lebensumstände sowie psychische und körperliche Folgen Berücksichtigung finden. Der objektivierende Beurteilungsmaßstab bleibt unverändert erhalten.“

B stellte dauerhaft ihr Telefon ab, änderte ihren Facebook-Account, war verängstigt, verzweifelt und nicht mehr arbeitsfähig. Sie konnte nicht mehr allein sein, übernachtete dauerhaft bei ihren Eltern, konnte aber auch dort nur noch maximal zwei Stunden durchschlafen Zudem begab sie sich in psychiatrische Behandlung. Darin liegt eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung der B, weswegen die Handlungen des A auch objektiv geeignet waren, die Lebensgestaltung der B schwerwiegend zu beeinträchtigen.

3.
A handelte vorsätzlich (§ 15 StGB).

II. Tatbestand der Erfolgsqualifikation (§ 238 III StGB)
Möglicherweise hat A zudem die Qualifikation des § 238 III StGB erfüllt. Der Tatbestand der Nachstellung mit Todesfolge gemäß § 238 III StGB setzt als sog. erfolgsqualifiziertes Delikt voraus, dass A “durch die Tat” den Tod der B verursacht hat, wobei A hinsichtlich dieser schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fallen muss (§ 18 StGB).

1.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht bei erfolgsqualifizierten Delikten (bspw. auch §§ 226, 227 StGB) ein rein ursächlicher (kausaler) Zusammenhang zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und dem Todeserfolg für die Erfüllung des Tatbestandes nicht aus. Erfolgsqualifizierte Delikte sollen der mit der Verwirklichung des jeweiligen Grundtatbestandes verbundenen Gefahr des Eintritts der qualifizierenden Todesfolge entgegenwirken und setzen deshalb einen sogenannten spezifischen Ursachenzusammenhang (tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang) zwischen beidem voraus.
Zu den allgemeinen Anforderungen führt der BGH zunächst aus, dass diese für jedes Delikt gesondert bestimmt werden müssten:

„Welche Anforderungen an das Vorliegen des gefahrspezifischen Zusammenhangs zu stellen sind, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den erfolgsqualifizierten Delikten nicht generell entschieden werden. Vielmehr müssen diese Anforderungen ebenso wie die gebotenen Einschränkungskriterien für jeden in Betracht kommenden Straftatbestand nach dessen Sinn und Zweck sowie unter Berücksichtigung der von ihm erfassten Sachverhalte in differenzierender Wertung ermittelt werden. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass die verschiedenen Erfolgsqualifikationen in Bezug auf die jeweiligen Grundtatbestände uneinheitlich strukturiert sind und deshalb übergreifende Kriterien nicht benannt werden können (BGH, Urteile vom 18. September 1985 – 2 StR 378/85, BGHSt 33, 322, 323; vom 15. Mai 1992 – 3 StR 535/91, BGHSt 38, 295, 298; vgl. auch SSW-StGB/Momsen, 3. Aufl., § 18 Rn. 8; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 18 Rn. 8).“

Im Fall des § 238 III StGB ist der spezifische Ursachenzusammenhang gegeben, wenn der Tod des Nachstellungsopfers unmittelbare Folge der Tathandlungen des Täters ist. Gerade die der Nachstellung innewohnende spezifische Gefahr muss sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben.

Fraglich ist, ob die Weigerung der B, sich (weiterhin) stationär psychiatrisch behandeln zu lassen und ihr anschließender Suizid den spezifischen Ursachenzusammenhang entfallen lassen.
Ob ein eigenverantwortliches Opferverhalten den spezifischen Ursachenzusammenhang entfallen lässt, könne nicht generell, sondern nur unter Würdigung der jeweiligen Strafvorschrift beantwortet werden. Bei § 238 StGB sei der Zusammenhang zu bejahen, wenn das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes zurückzuführen ist und diese Motivation für sein selbstschädigendes Verhalten handlungsleitend war:

„Die Ausgestaltung sowie der Sinn und Zweck der jeweiligen Strafvorschrift sind auch für die Beurteilung der Frage maßgeblich, ob sich der Eintritt des tödlichen Erfolgs auch dann noch als Ausfluss der dem jeweiligen Grundtatbestand eigentümlichen Gefahr darstellt, wenn dieser Erfolg durch ein Verhalten des Tatopfers herbeigeführt worden ist. Hiervon ausgehend ist bei der Nachstellung aufgrund der Deliktsstruktur des § 238 StGB und mit Blick auf den Schutzzweck der Vorschrift der tatbestandsspezifische Zusammenhang bereits dann zu bejahen, wenn das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes zurückzuführen ist und diese Motivation für sein selbstschädigendes Verhalten handlungsleitend war. Liegen diese Voraussetzungen vor, steht die Herbeiführung des tödlichen Erfolgs durch das Tatopfer selbst der Annahme eines die Erfolgsqualifikation des § 238 Abs. 3 StGB begründenden tatspezifischen Gefahrzusammenhangs nicht entgegen.“

Der BGH kommt danach zu dem Ergebnis, dass weder die Weigerung der B, sich (weiterhin) psychiatrisch behandeln zu lassen, noch ihr Suizid etwa acht Monate nach Beendigung der Nachstellungshandlungen etwas an der Annahme des gefahrspezifischen Zusammenhangs entfallen ließen.
Dabei stellt er im Ausgangspunkt darauf ab, dass Unrechtskern der Vorschrift die Einschränkung der Autonomie des Opfers sei. Deshalb könne das Maß einer noch verbleibenden Autonomie bei der Entscheidung des Opfers, dem psychischen Druck nachzugeben und zu seinem eigenen Schutz sein Leben tiefgreifend zu ändern, rechtlich keine Bedeutung haben:

„(1) Der Grundtatbestand des § 238 Abs. 1 StGB bezweckt gerade den Schutz des Nachstellungsopfers vor selbstschädigendem Verhalten unter dem Einfluss der in der Vorschrift im Einzelnen normierten Nachstellungshandlungen. Insoweit setzt die Bestimmung einen Taterfolg in Gestalt einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers voraus, der darin besteht, dass das Nachstellungsopfer gravierende Einschränkungen in seiner Lebensführung unter dem Druck von Nachstellungshandlungen vornimmt, etwa in Form einer Verlegung des Wohnsitzes, eines Wechsels des Arbeitsplatzes oder eines vollständigen Rückzugs aus der Öffentlichkeit (Einzelheiten bei Gericke aaO, Rn. 48 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 16/575). Unrechtskern der Vorschrift ist danach die Einschränkung der Autonomie des Opfers bei seiner Lebensführung durch Einwirkungen seitens des Täters. Da diese Einwirkungen im Regelfall psychischer Natur sind (vgl. Gericke aaO, Rn. 16), kann das Maß einer noch verbleibenden Autonomie bei der Entscheidung des Opfers, dem psychischen Druck nachzugeben und zu seinem eigenen Schutz sein Leben tiefgreifend zu ändern, rechtlich keine Bedeutung haben.“

Stellt sich das Opferverhalten als psychische Folge der Nachstellungen des Täters dar, sei es nicht „freiwillig“ im Rechtssinne, weswegen es den spezifischen Ursachenzusammenhang nicht entfallen lasse:

„Mag die Selbsttötung des Opfers die Zurechnung des Todeserfolges nach dem Grundsatz eigenverantwortlichen Handelns bei anderen erfolgsqualifizierten Delikten unter Berücksichtigung des jeweiligen Schutzzwecks im Einzelfall ausschließen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. September 1970 – 3 StR 119/70, NJW 1971, 152; jeweils in Abgrenzung dazu BGH, Urteile vom 17. März 1992 – 5 StR 34/92, NJW 1992, 1708; und vom 10. Januar 2008 – 5 StR 435/07, BGHR StGB § 227 Todesfolge 6; zur Ablehnung ärztlicher Hilfe s. BGH, Urteil vom 9. März 1994 – 3 StR 711/93, BGHR StGB § 226 Todesfolge 8; zum Eintritt der Todesfolge bei § 239b StGB im Zuge einer Geiselbefreiung vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1985 aaO), so gilt dies im Fall des § 238 Abs. 3 StGB – wenn ein motivationaler Zusammenhang mit der Nachstellungshandlung gegeben ist und diese Motivation für das Tatopfer handlungsleitend war – nach Sinn und Zweck der Vorschrift und auf Grund ihres systematischen Zusammenhangs mit dem auf den Schutz vor einer Selbstschädigung angelegten Grunddelikt des § 238 Abs. 1 StGB nicht. Vielmehr stellt sich der durch den selbstschädigenden Akt des Suizids herbeigeführte Tod nur als (letzte) Steigerung der tiefgreifenden Beeinträchtigung der Lebensführung des Opfers im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB dar, die als schwere Folge nach dem Willen des Gesetzgebers der höheren Strafdrohung unterliegen soll. Dabei hatte der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift nicht nur den Fall vor Augen, in dem das Opfer etwa auf der Flucht vor dem nachstellenden Täter zu Tode kommt, sondern auch den, bei dem das Opfer vom Täter in den Selbstmord getrieben wird (BT-Drucks. 16/3641, S. 14). Da § 238 Abs. 1 StGB so gefasst ist, dass dem Täter das Opferverhalten als unfreiwillig im Rechtssinne zugerechnet wird, weil es sich als psychische Folge seiner Nachstellungen darstellt (so zutr. Gericke aaO, Rn. 54), ist über einen handlungsleitenden motivationalen Zusammenhang hinaus für eine Einschränkung des gefahrspezifischen Zusammenhangs zwischen Nachstellung und Todesfolge auch dann kein Raum, wenn das infolge intensiver Nachstellungshandlungen unter einer sich verstärkenden posttraumatischen Belastungsstörung leidende Opfer – wie hier – ärztliche Behandlung ablehnt und seinem Leben selbst ein Ende setzt.“

2.
Zudem müsste A hinsichtlich der Verursachung der Todesfolge fahrlässig im Sinne von § 18 StGB gehandelt haben.
Der BGH führt zunächst aus, dass es darauf ankomme, ob dem Täter der Eintritt der schweren Folge vorhersehbar war, wobei die Vorhersehbarkeit des Erfolges im Allgemeinen genüge:

„a) Da der Täter bei einem erfolgsqualifizierten Straftatbestand schon durch die schuldhafte Verwirklichung des Grunddelikts objektiv und subjektiv pflichtwidrig handelt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit der qualifizierenden Tatfolge, hier des Todes des Opfers (vgl. nur Senatsurteile vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21; und vom 15. November 2007 – 4 StR 453/07, NStZ 2008, 686, jeweils mwN; ebenso schon BGH, Urteil vom 17. März 1992 – 5 StR 34/92, NJW 1992, 1708, 1709). Hierfür ist entscheidend, ob vom Täter in seiner konkreten Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Eintritt des Todes des Opfers vorausgesehen werden konnte oder ob die tödliche Gefahr für das Opfer so weit außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag, dass die qualifizierende Folge dem Täter deshalb nicht zuzurechnen ist (Senatsurteile, jeweils aaO). Besteht die schwere Folge, wie hier, im Eintritt des Todes, braucht sich die Vorhersehbarkeit nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs zu erstrecken, insbesondere nicht auf die durch die Tathandlung ausgelösten, im Einzelnen ohnehin nicht einschätzbaren somatischen Vorgänge, die den Tod schließlich ausgelöst haben; es genügt vielmehr die Vorhersehbarkeit des Erfolges im Allgemeinen (Senatsurteile, jeweils aaO mwN; vgl. auch BGH, Urteile vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 39; vom 12. Februar 1992 – 3 StR 481/91, BGHR StGB § 226 [aF] Todesfolge 4; und vom 24. Januar 1995 – 1 StR 707/94, NStZ 1995, 287, 288).“

Danach habe A fahrlässig gehandelt:

„b) Gemessen daran ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der Suizid der B. für den Angeklagten vorhersehbar war. Die Urteilsgründe ergeben, dass die mehrere Tatvarianten des § 238 Abs. 1 StGB erfüllenden Nachstellungshandlungen zu einer gerade auf tiefgreifender Angst vor dem Angeklagten beruhenden, schwerwiegenden Beeinträchtigung aller Lebensbereiche der B. führten, was von dessen Vorsatz in jeder Hinsicht umfasst war. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte nach seinen kognitiven Fähigkeiten nicht in der Lage war, seine Handlungen zutreffend zu bewerten und auch deren langfristige Wirkung auf die Geschädigte bis hin zu einem möglichen Tod durch Suizid auf Grund der durch die Nachstellungen ausgelösten schweren depressiven Erkrankung einzuschätzen und damit auch vorherzusehen, hat die Strafkammer zutreffend verneint. Die festgestellten intensiven Nachstellungshandlungen, mit denen er gezielt zerstörerisch in alle Lebensbereiche von B. einwirkte, konnte das Landgericht vielmehr als Beleg dafür heranziehen, dass er mit (weiteren) psychischen Folgen und – sei es auch, wie hier, mit zeitlicher Verzögerung – mit einem möglicherweise tödlichen Ausgang hätte rechnen können. Dies gilt, wie das Landgericht zutreffend hervorhebt, insbesondere unter Berücksichtigung mehrerer schon kurze Zeit nach der aus nichtigem Anlass vollzogenen Trennung an B. übermittelten Nachrichten. Darin ist u. a. die Rede davon, ihr Verhalten werde “ihr das Genick brechen”, es “wird dich töten, irgendwann im Leben, pass auf dich auf …”.“

III. Ergebnis
A hat sich wegen Nachstellung mit Todesfolge (§ 238 I Nr. 1, 2 und 4, III StGB) strafbar gemacht.

C. Fazit

Der Fall, dessen Sachverhalt fassungslos macht, lehrt, dass die Frage des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs für jedes Delikt – je nach Sinn und Zweck – gesondert beantwortet werden muss. Das gilt auch für die Frage, ob ein eigenes Verhalten des Opfers den Zusammenhang entfallen lässt. Für § 238 III StGB kommt es mit Blick auf seine Deliktstruktur und seines Schutzzwecks danach (nur) darauf an, dass das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes zurückzuführen ist und diese Motivation für sein selbstschädigendes Verhalten handlungsleitend war.
Bei der Lektüre der Entscheidung gilt es zu beachten, dass der BGH seine Entscheidung auf die alte, bis zum 9.3.2017 geltende Fassung des § 238 StGB zu stützen hatte.