BGH zur Abgrenzung der Alternativen des § 30 II StGB

A. Sachverhalt

T fordert die mit ihm in einem Haftraum untergebrachten H. und S. auf, an dem von ihm geplanten Ausbruch aus der Justizvollzugsanstalt mitzuwirken. Der Plan sieht zur Ermöglichung der gemeinsamen Flucht vor, zunächst einen Vollzugsbeamten bei der abendlichen Essens- oder Medikamentenausgabe mit einem noch herzustellenden Werkzeug niederzuschlagen. T. nimmt billigend in Kauf, dass der Beamte sterben könnte, und machte das H. und S. gegenüber deutlich.
 
Diese erklären sich T. gegenüber zur Mitwirkung bereit, hatten dabei jedoch den inneren Vorbehalt, sich tatsächlich nicht an dem Vorhaben beteiligen zu wollen. Sie rechnen damit und nehmen in Kauf, dass T. ihr jeweiliges Einverständnis ernst nehmen und deshalb die Tat verwirklichen werde. Durch ihre (scheinbaren) Zustimmungen ist T. nunmehr zur Tatausführung fest entschlossen.
 
In Ausführung des Plans zerlegen T., H. und S. einen Stuhl und legen die vier massiven vierkantigen Stuhlbeine aus Eisen als potenzielle Schlagwerkzeuge in dem Haftraum bereit. Die Umsetzung des Vorhabens scheitert daran, dass S. kurz danach in eine andere Haftanstalt verlegt wird, der neue Mitinsasse des Haftraums eine Beteiligung ablehnt und stattdessen einen Beamten der Justizvollzugsanstalt von dem Plan unterrichtet.
 
Strafbarkeit von T, H und S?
 
B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 23.3.2017 – 3 StR 260/16)  

I. Strafbarkeit des T

1. Strafbarkeit wegen versuchten Mordes gem. §§ 211, 22, 23 StGB

Zwar hatte T einen Tatentschluss im Hinblick auf die heimtückische Tötung des Justizvollzugsbeamten gefasst. Es fehlt aber an einem unmittelbaren Ansetzen iSv § 22 StGB. Das Zerlegen des Stuhls und Bereitlegen ist eine bloße Vorbereitungshandlung, sodass eine Strafbarkeit wegen versuchten Mordes ausscheidet.
 
2. Strafbarkeit wegen Verabredung zu einem Verbrechen des Mordes gem. § 30 II Var. 3 StGB

T könnte sich wegen Verabredung zu einem Verbrechen des Mordes gem. § 30 II Var. 3 StGB strafbar gemacht haben, indem er H und S aufforderte, einen Vollzugsbeamten niederzuschlagen.
 
Unter einer Verabredung versteht man eine – auch konkludente – Willensübereinkunft mindestens zweier Personen, ein Verbrechen als Mittäter zu begehen.
 
Fraglich ist, ob trotz des inneren Vorbehalts von H und S eine Verabredung iSv § 30 II Var. 3 StGB vorliegt.
 
Dafür könnte sprechen, dass jedenfalls objektiv eine solche Verabredung vorliegt und T seinerseits die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt, da er selbst zur Tatausführung entschlossen war. So hatte es das Landgericht beurteilt.
 
Der BGH tritt dieser Argumentation indes entgegen. Im Hinblick auf den Strafgrund der Verbrechensverabredung iSv § 30 II Var. 3 StGB und ihrem Charakter als Vorstufe zur Mittäterschaft iSv § 25 II StGB sei notwendig, dass eine Willenseinigung von mindestens zwei tatsächlich zur Tatbegehung entschlossenen Personen zustande gekommen sei:

„Strafgrund der Verbrechensverabredung ist die durch eine Willensbindung mehrerer Personen gesteigerte Gefahr für das bedrohte Rechtsgut. Die Gefährlichkeit konspirativen Zusammenwirkens Mehrerer liegt darin, dass es Gruppendynamik entfalten, die Beteiligten psychisch binden und so die spätere Ausführung der Tat wahrscheinlicher machen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. März 2011 – 5 StR 581/10, NStZ 2011, 570, 571; vom 8. Dezember 2015 – 3 StR 438/15, BGHSt 61, 84, 92; MüKoStGB/Joecks, 3. Aufl., § 30 Rn. 53; LK/Schünemann, StGB, 12. Aufl., § 30 Rn. 11). Die Verbrechensverabredung ist Vorstufe der Mittäterschaft (vgl. LK/Schünemann, aaO Rn. 72 mwN).
 
Voraussetzung für die Strafbarkeit wegen Verabredung eines Verbrechens nach § 30 Abs. 2 Variante 3 StGB ist daher, dass eine Willenseinigung von jedenfalls zwei tatsächlich zur Tatbegehung entschlossenen Personen zustande gekommen ist, an der Verwirklichung eines hinreichend konkretisierten Verbrechens mittäterschaftlich mitzuwirken (vgl. bereits RG, Urteil vom 27. November 1924 – II 754/24, RGSt 58, 392, 393; ferner BGH, Urteile vom 3. Dezember 1958 – 2 StR 500/58, BGHSt 12, 306, 309; vom 29. Juli 1980 – 1 StR 326/80, Umdr. S. 4 [unveröffentl.]; vom 7. April 1998 – 1 StR 801/97, NStZ 1998, 403, 404; vom 28. Juni 2007 – 3 StR 140/07, NStZ 2007, 697; vom 13. November 2008 – 3 StR 403/08, NStZ 2009, 497 f.; Beschluss vom 11. August 1999 – 5 StR 217/99, BGHR StGB § 30 Abs. 2 Verabredung 5; SK-StGB/Hoyer, 35. Lfg., § 30 Rn. 48; Maurach, JZ 1961, 137, 139; Roxin AT II § 28 Rn. 47 ff.; LK/Schünemann, aaO Rn. 63; NK-StGB-Zaczyk, 4. Aufl., § 30 Rn. 50).“

 
Danach scheide hier eine Verbrechensverabredung aus:

„Das ist hier nicht der Fall. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass sich H. und S. schon an dem körperlichen Angriff auf den Justizvollzugsbediensteten nicht beteiligen wollten. Ihr innerer Vorbehalt bezog sich mithin auf die gesamte von T. geplante Tat und nicht lediglich darauf, im Anschluss an das Niederschlagen des Beamten den Haftraum nicht zusammen mit T. verlassen zu wollen.“

 
3. Strafbarkeit wegen Sichbereiterklärens zu einem Verbrechen des Mordes gem. § 30 II Var. 1 StGB

Möglicherweise aber hat sich T wegen Sichbereiterklärens zu einem Verbrechen in der Form des Erbietens gem. § 30 II Var. 1 StGB strafbar gemacht.
 
Voraussetzung hierfür ist die ernst gemeinte, mit Bindungswillen gegenüber dem Adressaten abgegebene Kundgabe der eigenen Bereitschaft zur täterschaftlichen Verwirklichung eines Verbrechens. Dies kann entweder in der Form der Annahme einer Aufforderung oder – wie hier – als aktives Erbieten geschehen.
 
Auf die umstrittene Frage, ob nur ein „echtes Erbieten“ erfasst werde, komme es hier nicht an:

„Der Senat braucht dabei nicht zu entscheiden, ob diese zweite Alternative voraussetzt, dass der Erbietende als präsumtiver Täter seinen Tatentschluss unter die Bedingung der Annahme des Erbietens stellt (sogenanntes “echtes” Erbieten, vgl. Rogall in Festschrift Puppe, 2011, S. 859, 869 Fn. 94; Roxin, AT II, § 28 Rn. 79; LK/Schünemann, aaO Rn. 90), oder ob auch der bei Kundgabe seiner Bereitschaft bereits fest zur Tat Entschlossene erfasst ist (so MüKoStGB/Joecks, aaO Rn. 44). Denn das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass T. nicht von vornherein, sondern erst durch die (scheinbare) Zustimmung H. s und S. s endgültig zur Tat entschlossen war (UA S. 32), und dies durch eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung belegt (UA S. 44).“

 
Der innere Vorbehalt von H und S lässt ein Sichbereiterklären nicht entfallen. Insoweit komme es – wie der Wortlaut nahelegt - auf die subjektive Einstellung des Erklärungsempfängers nicht an:

„Das Erbieten des Angeklagten T. war ernst gemeint (zu diesem Erfordernis vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 1954 – StE 125/52, BGHSt 6, 346, 347; Beschluss vom 7. Juli 1993 – 3 StR 275/93, BGHR StGB § 30 Beteiligung 1; ebenso bereits RG, Urteile vom 7. Juni 1929 – I 3/29, RGSt 63, 197, 199; vom 10. Dezember 1925 – II 368/25, RGSt 60, 23, 25; ferner S/S-Heine/Weißer, aaO Rn. 27; SK-StGB/Hoyer, aaO Rn. 38; MüKoStGB/Joecks, aaO Rn. 46; Roxin, JA 1979, 169, 172; Schröder, JuS 1967, 289, 294; LK/Schünemann, aaO Rn. 92; NK-StGB-Zaczyk, aaO Rn. 37) und auf eine Bindung gegenüber den beiden anderen Angeklagten gerichtet (zu diesem Erfordernis vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2014 – StB 10/14, NJW 2015, 1032, 1033; vom 18. Februar 2016 – AK 3/16, juris Rn. 13). T. erstrebte nicht nur S. s und H. s Zustimmung zur Tatbegehung, sondern sogar ihre Mitwirkung daran. Auf ihren inneren Vorbehalt kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, weil das Sichbereiterklären unabhängig von der subjektiven Einstellung des Erklärungsempfängers ist (BGH, Beschluss vom 11. August 1999 – 5 StR 217/99, BGHR StGB § 30 Abs. 2 Verabredung 5).“

 
Damit hat sich T wegen Sichbereiterklärens zu einem Verbrechen des Mordes gem. § 30 II Var. 1 strafbar gemacht.
 
4. Strafbarkeit wegen versuchter Anstiftung zu einem Mord gem. § 30 I StGB

T fasste einen Tatentschluss iSv § 30 I StGB. Er handelte subjektiv mit sogenanntem “doppelten Anstiftervorsatz”, der sich einerseits auf das Hervorrufen des Tatentschlusses bei beiden und andererseits auf die Vollendung der Haupttat bezog. Auch liegt ein unmittelbares Ansetzen vor, indem er H uns S zur Mitwirkung an dem von ihm geplanten Vorhaben aufforderte. Dabei handelte es sich objektiv um eine Bestimmungshandlung, die bei H und S einen Tatentschluss hervorrufen sollte. Der Tatbestand des § 30 I StGB ist damit erfüllt.
 
Der BGH führt jedoch aus, dass neben dem Sichbereiterklären zum Verbrechen des Mordes für eine Verurteilung wegen versuchter Anstiftung zur mittäterschaftlichen Begehung der nämlichen Tat jedoch kein Raum sei. Insoweit sei für die Taten im Vorbereitungsstadium auf die für das Ausführungsstadium geltenden Grundsätze zurückzugreifen, die für das Verhältnis der Anstiftung (§ 26 StGB) zur Mittäterschaft (§ 25 II StGB) maßgebend seien. Die versuchte Anstiftung scheide entweder schon auf der Tatbestandsebene aus oder werde jedenfalls auf der Konkurrenzebene verdrängt:

„Bestimmt ein Tatbeteiligter einen anderen zu einer rechtswidrigen Tat, die er selbst (als Mittäter mit-) begeht, so ist er allein wegen der (mit-) täterschaftlichen Tatbegehung zu belangen. Dies kann aus dem Wortlaut des § 26 StGB hergeleitet werden, nach dem Bezugspunkt des Bestimmens eine fremde Tat ist (“… einen anderen zu dessen … Tat bestimmt …”, vgl. Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 26 Rn. 1; NK-StGB-Schild, 4. Aufl., § 26 Rn. 1), so dass eine Anstiftung zu einer von dem Bestimmenden als Mittäter begangenen Tat bereits tatbestandlich ausgeschlossen wäre. Jedenfalls auf der Ebene der Konkurrenzen ist die Anstiftung gegenüber der schwereren Beteiligungsform der Mittäterschaft subsidiär (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1993 – 1 StR 325/93, NStZ 1994, 29, 30; S/S-Heine/Weißer, StGB, 29. Aufl., Vor §§ 25 ff. Rn. 47; LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., Vor §§ 52 ff. Rn. 137; LK/Schünemann, aaO § 26 Rn. 106).
 
Übertragen auf die entsprechenden Beteiligungsformen im Vorbereitungsstadium nach § 30 StGB bedeutet dies, dass derjenige, der sich selbst zu einem Verbrechen bereiterklärt, nicht auch wegen versuchter Anstiftung eines anderen zu derselben Tat zu verurteilen ist. Der Senat kann dabei offen lassen, ob die versuchte Anstiftung schon auf der Tatbestandsebene ausscheidet oder erst auf der Konkurrenzebene verdrängt wird (zum Zurücktreten hinter die tatnähere oder schwerwiegendere Beteiligungsform des § 30 StGB s. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 1993 – 5 StR 705/93, BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 1 Konkurrenzen 4; Urteil vom 19. März 1996 – 1 StR 497/95, NJW 1996, 2239, 2242 [insoweit in BGHSt 42, 86 nicht abgedr.]; SK-StGB/Hoyer, 35. Lfg., § 30 Rn. 58; LK/Schünemann, aaO § 30 Rn. 79).“

 

II. Strafbarkeit des H

1. Strafbarkeit wegen Sichbereiterklärens zu einem Verbrechen des Mordes gem. § 30 II Var. 1 StGB

Der innere Vorbehalt von H lässt ein Sichbereiterklären iSv § 30 II Var. 1 StGB entfallen, sodass eine Strafbarkeit insoweit ausscheidet.
 
2. Strafbarkeit wegen Annahme eines Anerbietens zum Verbrechen des Mordes gem. § 30 II Var. 2 StGB

Diese Variante des § 30 II StGB setzt – als ein Sonderfall der versuchten Anstiftung – voraus, dass der Täter objektiv das Erbieten eines anderen zur Begehung eines Verbrechens annimmt. Durch die Vorspiegelung seiner Bereitschaft zur Mitwirkung an dem Fluchtvorhaben nahm H das Erbieten des T. Erbieten zur Begehung eines Mordes objektiv an.
 
In subjektiver Hinsicht müsste H mit doppeltem Anstiftervorsatz, jedenfalls in Form des dolus eventualis, gehandelt haben. Für den Vorsatz genügt, dass der Annehmende damit rechnet, der präsumtive Täter werde seine Erklärung ernst nehmen und ihr entsprechend handeln, und dies billigt. Hat der Annehmende diese Vorstellung, entfällt sein Vorsatz nicht dadurch, dass er die Annahme des Erbietens des anderen nur zum Schein erklärt.
 
Dabei könne nicht davon ausgegangen werden, dass H davon ausgegangen wäre, dass sein Ausscheiden das Niederschlagen des Beamten hindere:

„Dem Vorsatz des H. steht nicht entgegen, dass er etwa davon ausgegangen wäre, falls er nicht mitwirke, hindere dies das Niederschlagen eines Vollzugsbeamten (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 4. Dezember 1962 – 5 StR 529/62, BGHSt 18, 160 f.; vom 7. April 1998 – 1 StR 801/97, NStZ 1998, 403, 404; ferner Roxin, NStZ 1998, 616, 617). Vielmehr nahm er an, der Plan könne auch ohne sein Zutun verwirklicht werden. Das gilt umso mehr, als auch S., dessen innerer Vorbehalt H. nicht bekannt war, die eigene Mitwirkungsbereitschaft vorspiegelte.“

 
Damit hat sich H wegen Annahme eines Anerbietens zum Verbrechen des Mordes gem. § 30 II Var. 2 StGB strafbar gemacht.
 
III. Strafbarkeit des S

Auch S hat sich wegen Annahme eines Anerbietens zum Verbrechen des Mordes gem. § 30 II Var. 2 StGB strafbar gemacht.  

C. Fazit

Ein Fall, der dazu einlädt, sich mit dem Nachfolger der sogenannten Duchesne-Paragraphen näher zu befassen.