BGH: Sind §§ 280 I, II, 286 BGB auf § 888 BGB anwendbar?

A. Sachverhalt (vereinfacht)

K kauft von V ein Grundstück. Zu seinen Gunsten wird eine Auflassungsvormerkung eingetragen. Nach Eintragung der Vormerkung bestellt V für B eine Grundschuld, die in das Grundbuch eingetragen wird.

K wird sodann als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen und verkauft das Anwesen an D lastenfrei weiter. K kann das Grundstück D aber nicht lastenfrei übereignen, weil B sich trotz Aufforderung weigert, die Zustimmung zur Löschung der Grundschuld zu erteilen. Wegen der verzögerten Lastenfreiheit muss D erhöhte Kreditbereitstellungskosten an seine Bank in Höhe von 2.500 Euro zahlen, die er als Schadensersatz bei K geltend macht.

Nach einiger Zeit erklärt sich B schließlich zur Löschung der Grundschuld bereit. K verlangt nun von B die Erstattung der an D gezahlten Kreditbereitstellungskosten in Höhe von 2.500 Euro.

Zu Recht?

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 04.12.2015 - V ZR 202/14)

Als Anspruchsgrundlage kommt lediglich §§ 280 I, II, 286, 888 BGB in Betracht.

I. Anwendbarkeit der §§ 280 I, II, 286 BGB auf § 888 BGB

Fraglich ist schon, ob die Verzugsregeln auf den Anspruch aus § 888 BGB anwendbar sind.

Dagegen spricht, dass der BGH den Anspruch aus § 888 BGB in der Vergangenheit als „unselbständigen Hilfsanspruch mit verfahrensrechtlicher Bedeutung“ bezeichnet und die Anwendbarkeit der Verzugsregeln (§§ 286, 288 BGB a.F.) verneint hat. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1968 hat er ausgeführt:

„Der Senat hat keinen Anlaß, zu diesen Ansichten im einzelnen Stellung zu nehmen und zu entscheiden, welcher Ansicht der Vorzug zu geben ist. Die Ansichten laufen alle darauf hinaus, daß für jeden Anspruch auf dem Gebiet des Sachenrechts gesondert zu prüfen ist, ob Vorschriften des allgemeinen Teils des Schuldrechts auf ihn angewendet werden können. Diese Prüfung ergibt hier, daß nach Zweck und Inhalt der Vorschrift des § 888 BGB auf die in ihr enthaltene Zustimmungserklärung jede der aufgeführten Einschränkungen der Anwendung der allgemeinen Vorschriften zutrifft und die Beklagte deshalb mit der ihr obliegenden Zustimmungserklärung nicht in Verzug im Sinne der §§ 284 ff. BGB kommen konnte.

Bei der Feststellung des Zweckes und des Inhalts der Vorschrift des § 888 BGB ist davon auszugehen, daß die Vormerkung, soweit sie hier in Betracht kommt, nur der Sicherung des Anspruchs auf Einräumung eines Rechts an einem Grundstück dient und die daraus sich ergebende dingliche Gebundenheit des Grundstücks (vgl. Urt. des Senats v. 01.10.1958 - V ZR 26/57 = BGHZ 28, 182 (186)) sich darin erschöpft, daß jede nach der Eintragung der Vormerkung getroffene Verfügung insoweit unwirksam ist, als sie den gesicherten Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würde (§ 883 Anm. 1 und 2 BGB). An dem gesicherten Anspruch selbst wird dadurch jedoch nichts geändert. Zu dessen Erfüllung bleibt nach wie vor allein der Schuldner verpflichtet (BGB-RGRK, a.a.O.§ 888 Anm. 3; Palandt, a.a.O. § 888 Anm. 3). Der Vormerkungsberechtigte kann deshalb nach allgemeinen Grundsätzen von diesem auch die Beseitigung der seinen vorgemerkten Anspruch beeinträchtigenden Verfügung verlangen (Planck, a.a.O. § 888 Anm. I 2; Staudinger, a.a.O. § 888 Anm. 4). Da hierzu aber die formellrechtliche Zustimmung des vormerkungswidrig eingetragenen Dritten erforderlich ist, wurde dem Vormerkungsberechtigten durch die Vorschrift des § 888 BGB die Möglichkeit gegeben, unmittelbar von diesem die Zustimmung zu seiner Eintragung zu verlangen. Damit ist jedoch die Bedeutung dieser Vorschrift erschöpft (Soergel-Siebert, a.a.O. § 888 Anm. 3; Staudinger, a.a.O. § 888 Anm. 4). Der in § 888 BGB normierte Zustimmungsanspruch wird deshalb mit Recht als unselbständiger Hilfsanspruch bezeichnet, dem nur verfahrensrechtliche Bedeutung zukomme (Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., § 84 IV 4 c S. 424; Staudinger, a.a.O. § 888 Anm. 4 b). Ist dies aber der Fall, dann ist es aus jedem der Gesichtspunkte, die für die Einschränkung der Anwendung der allgemeinen Vorschriften des Schuldrechts auf sachenrechtliche Ansprüche in Betracht kommen, gerechtfertigt, die Verzugsvorschriften des Schuldrechts (§§ 284 ff. BGB) auf den in § 888 BGB normierten Zustimmungsanspruch des Vormerkungsberechtigten nicht anzuwenden. Auch die Interessenlage gebietet dies nicht, weil der Vormerkungsberechtigte, falls die allgemeinen Voraussetzungen hierfür gegeben sind, sich wegen jeder Verzögerung der Erfüllung des durch die Vormerkung gesicherten Anspruchs an seinen Schuldner halten kann.“ (Urt. v. 19.01.1968 - V ZR 190/64)

Fraglich ist, ob diese Einschätzung heute noch aufrechterhalten werden kann.

§ 280 I BGB stellt – als Grundlage des Anspruchs auf Ersatz des Verzögerungsschadens – lediglich auf die Verletzung einer Pflicht aus einem Schuldverhältnis ab. Bei dem Anspruch aus §§ 280 I, II, 286 BGB wird die Pflichtverletzung konkretisiert; es muss sich um die Verletzung einer Leistungspflicht (§ 241 I BGB) handeln (und nicht um eine Nebenpflicht im Sinne von § 241 II BGB), weil § 280 II BGB auf die Verzögerung der Leistung abstellt. Der BGH führt dazu aus:

„Die Vorschrift des § 280 I BGB sieht eine Haftung auf Schadensersatz im Grundsatz für jede Pflichtverletzung vor, die der Schuldner zu vertreten hat. Sie unterscheidet nicht danach, ob es sich um die Verletzung von Haupt- oder Nebenpflichten handelt oder ob der Anspruch der Durchsetzung eines anderen Anspruchs dient und damit Hilfscharakter hat oder ob es sich um einen Anspruch handelt, der der Durchsetzung der Interessen des Gläubigers vorrangig dient. Bezüglich der hier maßgeblichen Haftung für den durch die verzögerte Erfüllung eintretenden Schaden stellt die Vorschrift § 280 BGB in ihrem Absatz 2 in Verbindung mit § 286 BGB darauf ab, ob es sich um die Verletzung einer Leistungspflicht handelt (MüKo-BGB/Ernst, 7. Aufl., § 286 Rn. 7).“

Dabei hat der BGH schon mehrfach entschieden, dass auch dingliche Ansprüche Leistungsansprüche i.S.v. §§ 280 I, II, 286 BGB sein können:

„Solche Leistungspflichten können sich auch aus dinglichen Ansprüchen ergeben. Der Senat hat deshalb etwa die Vorschrift des § 275 BGB über die Freistellung des Schuldners von der Verpflichtung zur Leistung auf den Anspruch auf Beseitigung einer Störung nach § 1004 BGB angewandt (Urt. v. 30.05.2008 – V ZR 184/07, NJW 2008, 3122 Rn. 18 ff., v. 18.07.2008 – V ZR 171/07, NJW 2008, 3123 Rn. 19 und v. 23.10.2009 – V ZR 141/08, NJW-RR 2010, 3154 Rn. 22 ff. und Beschl. v. 14.11.2013 – V ZR 302/12, juris). Entsprechendes gilt für die Vorschriften über die Haftung des Schuldners auf Ersatz des Verzögerungsschadens, um die es hier geht. Sie finden nach der Rechtsprechung des Senats auf den Anspruch auf Herausgabe einer schuldhaft überbauten Grundstücksteilfläche Anwendung (Urt. v. 19.09.2003 – V ZR 360/02, BGHZ 156, 170, 171 f.). Ihre Geltung wird zwar in § 990 II BGB für den Fall der Bösgläubigkeit ausdrücklich bestimmt. Das macht aber keinen entscheidenden Unterschied aus.

Denn die Notwendigkeit einer entsprechenden gesetzlichen Regelung ergibt sich bei dem Herausgabeanspruch daraus, dass das Verhältnis zwischen dem Eigentümer und dem Besitzer in den Vorschriften der §§ 987 ff. BGB eine besondere gesetzliche Ausgestaltung erfahren hat und es deshalb einer Ermächtigung zum Rückgriff auf das allgemeine Schuldrecht bedarf. Die Norm zeigt daher, dass das Gesetz von der Anwendbarkeit der Vorschriften über die Haftung bei verzögerter Erfüllung ausgeht.“

Zu prüfen ist daher, ob zwischen § 888 BGB und § 985 BGB oder § 1004 BGB solche Unterschiede bestehen, dass eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Anwendbarkeit der §§ 280 I, II, 286 BGB gerechtfertigt ist.

Dieser Unterschied könnte sich zunächst daraus ergeben, dass der Anspruch aus § 888 BGB nach dem oben Gesagten lediglich ein unselbständiger Hilfsanspruch ist. An dieser Bewertung hält der BGH fest:

„Die Vorschrift begründet allerdings einen unselbständigen Hilfsanspruch, der allein der Verwirklichung des durch die Vormerkung gesicherten Anspruchs dient. Während § 883 II BGB für das materielle Recht die relative Unwirksamkeit des Rechtserwerbs des Dritten anordnet, stellt die Vorschrift des § 888 BGB sicher, dass die nach dem formellen Grundbuchrecht notwendige Bewilligung des Betroffenen (§ 19 GBO) erwirkt werden kann. Der akzessorische Charakter des Anspruchs wird materiell-rechtlich durch den Erklärungsgehalt der abzugebenden Zustimmung sichergestellt; dieser richtet sich nach dem Inhalt des vormerkungsgesicherten Anspruchs. Das Interesse des vormerkungswidrig Eingetragenen, seine Position nicht voreilig aufzugeben, wird dadurch geschützt, dass er gegenüber dem Vormerkungsberechtigten alle Einreden und Einwendungen gegen die Vormerkung und den durch sie gesicherten Anspruch erheben kann (zum Ganzen: Senat, Urt. v. 02.07.2010 – V ZR 240/09, BGHZ 186, 130 Rn. 8 und 10).“

Trotz des Hilfscharakters und trotz seiner Akzessorietät handelt es sich bei dem Anspruch auf Zustimmung nach § 888 BGB um einen Leistungsanspruch, der sich nicht von anderen dinglichen Leistungsansprüchen unterscheidet. Daher unterfällt auch § 888 BGB den Vorschriften über die Verzögerung der Leistung. Der BGH führt dazu aus:

„Trotz dieses akzessorischen Charakters ist der Zustimmungsanspruch ein eigenständiger Anspruch gegen den vormerkungswidrig Eingetragenen, der zur Durchsetzung des durch die Vormerkung gesicherten Anspruchs notwendig ist. Denn der Vormerkungsschuldner ist bei vormerkungswidrigen Eintragungen allein nicht in der Lage, dem Vormerkungsgläubiger die ihm geschuldete Rechtsstellung zu verschaffen. Es bedarf der Zustimmung des vormerkungswidrig Eingetragenen, die der Vormerkungsgläubiger selbst soll erzwingen können. Dieses Recht hat er nicht erst, nachdem er selbst als Berechtigter eingetragen worden ist, sondern schon vorher (Senat, Urt. v. 02.07.2010 – V ZR 240/09, BGHZ 186, 130 Rn. 8 und 14). Seiner Funktion und seinem Zweck nach ist der Zustimmungsanspruch deshalb ein Leistungsanspruch, der sich als solcher nicht von anderen dinglichen Leistungsansprüchen unterscheidet. Aus dem akzessorischen Charakter des Anspruchs lässt sich deshalb kein Argument gegen die Anwendung der Vorschriften über die Haftung des Schuldners für den Verzögerungsschaden nach § 280 I, II, § 286 BGB und § 288 BGB ableiten. Ob das auch für den ebenfalls aus der Verzögerung der Leistung entstehenden Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach § 280 I, III, § 281 BGB gilt, ist demgegenüber nicht eindeutig (gegen die Anwendung auch dieser Vorschriften etwa NK-BGB/Krause, 4. Aufl., BGB, § 888 Rn. 28 a.E.; Staudinger/Gursky BGB [2013], § 888 Rn. 64), muss hier aber nicht entschieden werden, da ein solcher Anspruch nicht geltend gemacht wird.“

Denkbar wäre aber, dass der Vormerkungsberechtigte (K) sich vorrangig an den Vormerkungsschuldner (V) halten muss. Denn immerhin liegt in der Übereignung eines mit einer Grundschuld belasteten Grundstücks eine mangelhafte Leistung des V (§§ 437, 435 BGB).

Dieser Argumentation erteilt der BGH aber eine Absage:

„Der durch diese Verzögerung entstehende Schaden ist bei der gebotenen wertenden Betrachtung aber nicht die Folge einer Pflichtverletzung des Schuldners des durch die Vormerkung gesicherten Anspruchs, sondern die Folge einer Pflichtverletzung des vormerkungswidrig Eingetragenen. Die vormerkungswidrige Eintragung muss, wie der vorliegende Fall zeigt, nicht auf einem eigenen Fehler des Schuldners des gesicherten Anspruchs beruhen. Dieser ist in dem zuletzt genannten Fall nicht in der Lage, die vormerkungswidrige Eintragung selbst zu beseitigen. Er kann die erforderlichen Erklärungen nicht selbst abgeben und hat wegen der nur relativ – nämlich gegenüber dem Vormerkungsgläubiger – wirkenden Unwirksamkeit der Eintragung auch keine rechtliche Möglichkeit, den vormerkungswidrig Eingetragenen zu zwingen, die erforderlichen Erklärungen abzugeben. Den der Vormerkung entsprechende Rechtszustand kann allein der vormerkungswidrig Eingetragene herbeiführen, der gerade deshalb auch nach § 888 BGB kraft Gesetzes zur Abgabe der erforderlichen Erklärungen verpflichtet ist. Die durch eine Verweigerung der geschuldeten Zustimmung eintretende Verzögerung und der auf dieser Verzögerung beruhende Schaden sind allein die Folge seines pflichtwidrigen Verhaltens, für die er wie jeder andere Schuldner selbst einstehen muss, wenn er seine Weigerung zu vertreten hat (so schon Rosenberg in Hölder/Schollmeyer/Rosenberg/Schmidt/Fuchs, BGB, Bd. 3 Halbbd. 1, § 888 Anm. III 5 e). Nichts anderes entspricht auch dem Zweck des Anspruchs. Der Schutz des durch die Vormerkung gesicherten Gläubigers würde nämlich entscheidend entwertet, könnte der vormerkungswidrig Eingetragene die Erfüllung des Zustimmungsanspruchs gegenüber dem Vormerkungsberechtigten verweigern oder hinauszögern, ohne mit der Möglichkeit rechnen zu müssen, für die von ihm gegebenenfalls sogar mutwillig herbeigeführten Verzögerungen zu haften. Einer solchen Entwertung lässt sich nur durch die Anwendung der Vorschriften über die Haftung des Schuldners für den Verzögerungsschaden effektiv begegnen.“

Nach alledem sind §§ 280 I, II, 286 BGB auf § 888 BGB anwendbar.

II. Voraussetzungen der §§ 280 I, II, 286, 888 BGB

Die Bestellung der Grundschuld zugunsten des B stellt eine Verfügung dar, die den Anspruch des K gegen V auf Übereignung des Grundstücks vereiteln oder beeinträchtigen würde. Daher war sie K gegenüber nach § 883 II BGB (relativ) unwirksam. Deswegen stand K gegen B ein fälliger und einredefreier Anspruch auf Zustimmung zur Löschung der Grundschuld aus § 888 BGB zu, den B zunächst nicht erfüllt hat. In der Aufforderung des K, diesen Anspruch zu erfüllen, liegt zugleich eine Mahnung i.S.v. § 286 I BGB, so dass B sich ab diesem Zeitpunkt im Verzug der Leistung befunden hat. Das Verschulden des B wird vermutet (§§ 280 I 2, 286 IV BGB). Anhaltspunkte, die eine Exkulpation des B nahelegen würden, liegen nicht vor. Dass K D seinerseits Schadensersatz in Höhe von 2.500 Euro schuldete, stellt einen Schaden dar, den B damit ersetzen muss.

C. Fazit

Dass BGH-Entscheidungen, die mit einer jahrzehntealten Rechtsprechung brechen, besonders examensrelevant sind, muss nicht weiter betont werden.

Bei Vormerkungs-Klausuren handelt es sich häufig um „Hopp-oder-Topp-Klausuren“: Mit seriöser Vorbereitung sind die Fälle in der Regel dankbare Punktelieferanten. Ohne Vorbereitung auf die §§ 883 ff. BGB fällt es aber schwer, die Dogmatik und Systematik der Vorschriften zu erkennen und ihre Bedeutung für die Fallbearbeitung richtig einzuordnen. Eine intensive Befassung mit der Vormerkung wird daher dringend empfohlen – am besten natürlich mit Jura Online!