BGH zur Notwehr bei Auseinandersetzung im Drogenmilieu

BGH zur Notwehr bei Auseinandersetzung im Drogenmilieu

Der Themenkomplex „Notwehr“ sollte bei der Vorbereitung auf das Examen auf keinen Fall fehlen

Die mögliche Rechtfertigung einer Tathandlung – hier: gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) – durch Notwehr i.S. von § 32 StGB ist sowohl praxis- als auch examensrelevant. Der Täter bleibt bei Annahme der entsprechenden Voraussetzungen straflos, weswegen es für ihn von erheblicher Bedeutung ist, ob er diese – in objektiver wie in subjektiver Hinsicht – bei der Tatbegehung auch erfüllt hat.

A. Sachverhalt

Der E erwirbt eines Abends von K, der sich in Begleitung seines Schwagers und des A befindet, ein Gramm Kokain. Nach dessen Konsum beschwert er sich telefonisch über die in seinen Augen minderwertige Qualität und verlangt bei einem Treffen noch in derselben Nacht – erkennbar unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stehend – von dem K den Kaufpreis von 90 € zurück. Dies lehnt K ab, der sich wieder in Begleitung seines Schwagers und des A befindet, die einige Meter vom Treffpunkt entfernt auf ihn warten. Es entwickelt sich eine verbale Auseinandersetzung.

Der E holt im Verlauf des Streits ein Küchenmesser hervor, das er in Erwartung einer Auseinandersetzung mit mehreren Kontrahenten eingesteckt hatte. Der K lässt daraufhin seine Geldtasche mit etwa 2.500 € Bargeld zu Boden fallen, um sich gegen einen etwaigen Angriff besser wehren zu können. Nun nimmt der E die Tasche und läuft davon. Der K ruft dem A zu, dass ihm der E sein Geld entwendet habe, und fordert ihn auf, ihm „etwas zu geben“. Daraufhin nimmt A einen Holzbesen und bricht dessen Stiel in zwei Teile. K und A bewaffnen sich jeweils mit einem Teil des Besenstiels und nehmen die Verfolgung des E auf, um ihm eine Abreibung zu verpassen.

Nachdem sie ihn eingeholt haben, schlägt K mindestens einmal mit dem Besenstiel auf den E ein. Zwar gelingt es diesem zunächst, sich vor K und A in einen Innenhof zu flüchten; dort bemerkt er jedoch, dass sie ihn fast wieder eingeholt haben und wendet sich daraufhin dem K zu. K fordert ihn auf, ihm sein Geld zurückzugeben, und schlägt ihm dann mehrere Male aus Wut und Verärgerung darüber, dass E mit der Tasche mit den Geldscheinen davongelaufen war mit dem Besenstiel, den er mit beiden Händen festhält, wuchtig gegen den Kopf und die Arme. Es kommt ihm darauf an, ihn erheblich zu verletzen und ihm Schmerzen zuzufügen.

Um den K auf Abstand zu halten, macht der E mit dem Messer Abwehrbewegungen, aber keinerlei Angriffsbewegungen in Richtung von K und A, und fügt dem K dabei eine oberflächliche Schnittverletzung zu. E nimmt nun das Geld aus der Tasche und wirft Geld und Tasche mit den Worten „Nimm das Geld, Bruder“ vor dem K auf den Boden. Daraufhin schlägt dieser mindestens fünf Mal mit dem Besenstiel auf den E ein. Er trifft ihn an den Armen und mindestens viermal am Kopf. Die Schläge führt er dabei so wuchtig aus, dass mindestens einmal Teile des Besenstiels absplittern. Der A wirft während dieser Schläge mindestens drei kleine Pflastersteine in Richtung des E und trifft diesen schmerzhaft mit mindestens einem der Steine im Bereich der rechten Schulter bzw. des rechten Oberarms. Nachdem eine Anwohnerin ankündigt, die Polizei zu rufen, hebt der K das am Boden liegende Geld auf und beide – A und K – verlassen sodann den Innenhof.

Wie haben sich A und K strafbar gemacht?

In diesem Urteilsticker geht es insbesondere um die folgenden (prüfungsrelevanten) Lerninhalte:

B. Entscheidung

A und K könnten sich wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung gemäß den §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem K mit einem Besenstiel mehrfach auf E bzw. auf dessen Kopf und Arme einschlug und A den E mit einem Stein traf.

I. Grundtatbestand, § 223 Abs. 1 StGB

A und K haben aufgrund eines gemeinsamen Tatplans und jeweils mit Tatherrschaft bei der gemeinsamen Tatausführung objektiv eine Körperverletzung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB begangen. Sie haben den E körperlich misshandelt, worunter jede üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten zu verstehen ist, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt. E ist von dem von K benutzten Besenstiel mehrfach an Kopf und Armen getroffen worden, wodurch bei ihm Schmerzen verursacht wurden. Gleiches gilt für den von A geworfenen Pflasterstein, von dem E schmerzhaft im Bereich der rechten Schulter bzw. des rechten Oberarms getroffen wurde.

A und K handelten jeweils vorsätzlich. Dem K kam es darauf an, den E erheblich zu verletzen und ihm Schmerzen zuzufügen (dolus directus ersten Grades), A nahm die Verletzung des E billigend in Kauf.

II. Qualifikationsmerkmale, § 224 Abs. 1 StGB

A und K haben jeweils auch die Tatbestandsvoraussetzungen einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB erfüllt. Die Körperverletzung zu Lasten des E wurde von beiden mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (Nr. 2), mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (Nr. 4) sowie mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (Nr. 5) begangen. Der zerbrochene Besenstiel sowie der Pflasterstein sind jeweils „ein anderes gefährliches Werkzeug“ im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (jeder bewegliche Gegenstand, der, als Mittel zur Herbeiführung einer Körperverletzung eingesetzt, nach seiner Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen, wobei es nicht auch auf die Art und rechtsgutsbezogene Zielrichtung seines Einsatzes ankommt); E wurde durch den wuchtig geführten Schlag mit dem Besenstiel am Kopf und an den Armen getroffen sowie – durch den geworfenen Pflasterstein – ebenfalls am Arm.

A und K haben in Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB gehandelt (s.o.), weswegen auch die Voraussetzungen von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllt sind. Das Einschlagen auf den Kopf des E mit dem Besenstiel erfüllt zudem die Voraussetzungen einer „das Leben gefährdenden Behandlung“ nach Nr. 5. Zwar muss eine solche Handlung nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; die jeweilige Einwirkung durch den Täter muss aber nach den konkreten Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist demnach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall. Beim mehrfachen wuchtigen Einschlagen auf den Kopf eines Menschen mit einem beidhändig geführten Besenstiel ist diese Eignung gegeben.

A und K handelten auch in Bezug auf die genannten Qualifikationsmerkmale jeweils mit Vorsatz.

III. Rechtfertigung

Fraglich ist, ob A und K vorliegend gerechtfertigt sind. In Betracht kommt eine Rechtfertigung durch Notwehr im Sinne von § 32 Abs. 1 StGB. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden (§ 32 Abs. 2 StGB).

1. Notwehrlage

Zunächst müsste objektiv eine Notwehrlage gegeben gewesen sein, also ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorliegen. Ein Angriff ist die von einem Menschen drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen, also etwa das Eigentum eines anderen. Gegenwärtig ist der Angriff, wenn eine Rechtsgutsverletzung unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert. E hat hier im Verlauf des Streits mit K über die Rückzahlung des Kaufpreises für die Betäubungsmittel – mit seiner Meinung nach minderwertiger Qualität – ein Küchenmesser hervorgeholt, worauf K seine Geldtasche mit etwa 2.500 € Bargeld zu Boden fallen ließ, um sich gegen einen etwaigen Angriff besser wehren zu können; diese hat E an sich genommen und ist damit weggelaufen. In dem Innenhof, in dem es zu einer weiteren Auseinandersetzung des E mit A und K gekommen ist, hat er das Geld wieder aus der Tasche geholt und beides mit den Worten „Nimm das Geld, Bruder“ vor dem K auf den Boden geworden. E hat damit einen Angriff auf die rechtlich geschützten Interessen des K verübt. Dieser war auch rechtswidrig, weil er nicht im Einklang mit der Rechtsordnung stand: E hatte keinen Anspruch gegen K auf die Übertragung des Besitzes an der Tasche mitsamt des darin enthaltenen Geldes. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass E die „Beute“ (also Geld und Tasche) vor K wieder auf den Boden fallen ließ. Dazu der BGH:

„II.1.a) Zutreffend bejaht das Landgericht eine Notwehrlage, solange sich der [E] im Besitz der Geldtasche des K befand. Nachdem dieser das Geld und die Tasche im Innenhof fallen gelassen hatte, war der Angriff jedoch beendet. Eine Notwehrlage war nicht mehr gegeben; eine Rechtfertigung der nachfolgenden Gewalthandlungen [von A und K] kam nicht mehr in Betracht (…)“

Eine Notwehrlage bestand also nach dem Fallenlassen von Geld und Tasche im Innenhof nicht mehr, so dass eine Rechtfertigung der Körperverletzungshandlungen von A und K für die im Anschluss ausgeübten Gewalthandlungen (Schläge mit Besenstiel und Steinwurf) nicht mehr in Betracht kommt.

2. Notwehrhandlung

A und K müssten sich gegen den Angriff des E während der bestehenden Notwehrlage in „erforderlicher Weise“ verteidigt haben. Für eine Rechtfertigung der Tat durch Notwehr bedarf es einer erforderlichen, geeigneten und gebotenen Verteidigung gegen den rechtswidrigen Angriff. Fraglich ist insoweit, ob K mit dem Besenstiel mehrfach wuchtig auf den Kopf des E einschlagen durfte: Dazu der BGH:

„II.1.c) Auch die Annahme des Landgerichts, „die Schläge auf den Kopf (…)“ (…) seien nicht erforderlich gewesen, um den gegenwärtigen Angriff zu beenden, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht. Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Der Angegriffene muss dabei auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (…).
bb) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet nach diesen Grundsätzen die Annahme des Landgerichts, zur Beendigung des Angriffs wären „gegebenenfalls Schläge auf die Hand bzw. den Arm, in der E. die Geldtasche gehalten hatte“ (..), gerechtfertigt gewesen, nicht jedoch - zumal unter Berücksichtigung der zahlenmäßigen Überlegenheit [von A und K] - „wuchtige Schläge gegen den Kopf (…)“ (…).
Da der Rahmen der erforderlichen Verteidigung von den gesamten Umständen der objektiven Kampflage bestimmt wird, namentlich vom konkreten Ablauf von Angriff und Abwehr, von Stärke und Gefährlichkeit des Angreifers und den Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen (…), kann der Umstand, dass [A und K] dem [E] zahlenmäßig überlegen waren, zwar berücksichtigt werden. Das Landgericht lässt bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Notwehrhandlungen jedoch außer Acht, dass der [E] während des gesamten Geschehens mit einem Küchenmesser bewaffnet war und es einsetzte. Da angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen (…), war der [K] nicht gehalten, auf das mildeste, gleichwohl aber mit Unsicherheiten behaftete Mittel in Form von Schlägen auf Hand oder Arm des Geschädigten zurückzugreifen, um diesen zur Herausgabe der Geldtasche zu bewegen. Deshalb waren seine „wuchtig gegen den Kopf und die Arme“ geführten Schläge (…) von seinem Notwehrrecht umfasst.

Fraglich ist weiter, wie es sich auf die Gebotenheit der Verteidigungshandlung auswirkt, dass E bei seinem Angriff auf A und K unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln gestanden hat. Dazu der BGH:

„II.1.d) Auch die Würdigung des Landgerichts, die Verteidigungshandlungen seien in der konkreten Situation nicht geboten gewesen, da der [E] „unter einer akuten Intoxikation durch Kokain stand“ (…) und der [K] dies erkannt habe, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
aa) Zwar kann das Merkmal der Gebotenheit im Einzelfall sozialethisch begründete Einschränkungen an sich erforderlicher Verteidigungshandlungen notwendig machen. Danach ist die Verteidigung dann nicht geboten, wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung oder eine weniger risikoreiche Verteidigung zu verlangen ist (…). So kann bei infolge Alkohol- oder Drogenkonsums schuldunfähigen Personen das Notwehrrecht des Angegriffenen eingeschränkt sein (…).
bb) Die Feststellungen lassen insoweit keine abschließende Bewertung der Schuldfähigkeit des [E] zu. Auf der einen Seite stand der [E] nach den Urteilsfeststellungen zwar aufgrund des vorausgegangenen Kokainkonsums für den [K] „erkennbar unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln“ (…). Auf der anderen Seite lassen sich den Feststellungen aber keine Anhaltspunkte für Ausfallerscheinungen des [E] entnehmen. Der [K] hat sich dahingehend eingelassen, dass der [E] „voll drauf“ gewesen sei (…) und große Augen und Pupillen gehabt habe (…), und der [E] bestätigte, unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen gestanden zu haben (…). Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte er jedoch ein gewisses Leistungsvermögen; denn er versuchte zunächst, die Rückzahlung des Kaufpreises wegen der aus seiner Sicht mangelhaften Qualität des Kokains zu erreichen; nach diesem vergeblichen Versuch nahm er die Geldtasche trotz Gegenwart der Begleitpersonen des [K] an sich und flüchtete, auch wenn ihn [A und K] ohne Weiteres einzuholen imstande waren. Deshalb kann das Revisionsgericht nicht beurteilen, welche Auswirkungen der Drogen- und möglicherweise auch Alkoholkonsum des [E] auf seine Schuldfähigkeit hatte. Eine Einschränkung des Notwehrrechts [von A und K] kann auf diese unzureichenden Feststellungen jedenfalls nicht gestützt werden.“

Es kann mithin (derzeit) nicht festgestellt werden, ob die Notwehrrechte von A und K wegen des vorangegangenen Betäubungsmittelkonsums des E und dessen Auswirkungen auf seine Schuldfähigkeit eingeschränkt gewesen sind oder nicht. Wäre das zu verneinen, wären A und K auch für die Handlungen gegenüber E vor dem Fallenlassen der Geldscheine und der Tasche im Innenhof gerechtfertigt.

3. Verteidigungswille

Fraglich ist weiter, ob A und K für die Verletzungshandlungen zu Lasten des E vor der Zäsur im Innenhof (Fallenlassen des Geldes und der Tasche) auch einen Verteidigungswillen aufwiesen. Dazu der BGH:

„II.1.b)aa) Das Landgericht hat rechtlich zutreffend angenommen, dass § 32 StGB in subjektiver Hinsicht einen Verteidigungswillen erfordert (…). Die subjektiven Voraussetzungen der Notwehr sind demnach erst dann erfüllt, wenn der Gegenangriff zumindest auch zu dem Zweck geführt wurde, den vorangehenden Angriff abzuwehren. Dabei ist ein Verteidigungswille auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn andere Beweggründe (Vergeltung für frühere Angriffe, Feindschaft etc.) hinzutreten (…). Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind, dass hinter ihnen der Wille, das Recht zu wahren, ganz in den Hintergrund tritt, kann von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein (…).
bb) Gemessen hieran wird die Annahme des Landgerichts, es fehle an dem erforderlichen Verteidigungswillen, da „das Motiv der Verteidigung soweit in den Hintergrund [trat], dass dies allenfalls noch ein ganz nebensächliches Motiv für die Angeklagten darstellte“ (…), von den Feststellungen nicht getragen. Danach hatte der [K] zwar den Geschädigten verfolgt, „um ihm eine Abreibung zu verpassen“ (…), und dann „aus Wut und Verärgerung darüber, dass E mit der Tasche mit den Geldscheinen davongelaufen war“, auf ihn eingeschlagen (…). Gleichzeitig hat das Landgericht jedoch auch festgestellt, dass der [K] den [E] zuvor aufgefordert hatte, „ihm sein Geld zurückzugeben“ (…). Damit waren die Gewalthandlungen neben dem Verteidigungswillen durch weitere Motive bestimmt. Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidigungswille schon vor dem Fallenlassen des Geldes „ein ganz nebensächliches Motiv für [A und K] darstellte“ (…), die „tatsächliche Motivation beider (…) die Verärgerung über das vorausgegangene Verhalten des E“ war (…) und sie ihm einen Denkzettel für sein vorangegangenes Verhalten verpassen wollten (…), bieten die Feststellungen nicht. Vielmehr spricht die Beobachtung der Zeugin W, bei dem Streit im Innenhof sei es um Geld gegangen (…), dafür, dass es [A und K] jedenfalls zunächst auch um die Wiedererlangung des entwendeten Geldes ging.

Es steht nach alledem (derzeit) nicht fest, ob A und K auch mit einem erforderlichen Verteidigungswillen (subjektives Rechtfertigungselement) gehandelt haben, als sie den E am Körper verletzt haben.

4. Zwischenergebnis

A und K sind nicht durch Notwehr gerechtfertigt, soweit sie Körperverletzungshandlungen zum Nachteil des E nach dem Fallenlassen des Geldes im Innenhof verübt haben. Für die mögliche Rechtfertigung ihrer vorangegangenen Handlungen gegenüber E kommt es darauf an, ob ihre Verteidigungshandlungen trotz des Betäubungsmittelkonsums des geschädigten E noch „geboten“ im Sinne des § 32 StGB waren und ob sie insoweit maßgeblich den Willen hatten, sich gegen den Angriff des E zu verteidigen.

Hinweis: Auf die Verurteilung von A und K wegen gefährlicher Körperverletzung (Schuldspruch) hätte dies keinen Einfluss, weil beide durch die – als eine Handlung im Rechtssinne und damit auch als eine Tat nach § 52 StGB anzusehenden – Gewalthandlungen ohnehin tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Allerdings würde eine Rechtfertigung ihrer Taten vor der Zäsur im Innenhof gegenüber E im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB von Bedeutung sein (Straf- oder Rechtsfolgenausspruch); eine strafschärfende Wirkung kämen diese Handlungen dann nicht mehr zu. Es wäre also damit zu rechnen, dass die zu verhängende (Einzel-)Strafe für A und K geringer ausfällt.

IV. Schuld

A und K haben beide schuldhaft gehandelt; Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

V. Ergebnis

A und K haben sich demnach wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des E gemäß den §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Der 1. Strafsenat hat das Urteil des Landgerichts, mit dem der A (auch wegen des in Tatmehrheit stehenden unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden war, auf seine auf die Sachrüge gestützte Revision (Geltendmachung einer Verletzung des materiellen Rechts) aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, §§ 353 Abs. 1, 354 Abs. 2 S. 1 StPO. Ferner ist von der in § 357 S. 1 StPO normierten Möglichkeit Gebrauch gemacht worden, dass Urteil auch betreffend den nicht revidierenden K aufzuheben, um auch für ihn eine erneute Strafzumessung vorzunehmen.

C. Prüfungsrelevanz

Die mögliche Rechtfertigung einer Tathandlung – hier: gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) – durch Notwehr i.S. von § 32 StGB ist sowohl praxis- als auch examensrelevant. Der Täter bleibt bei Annahme der entsprechenden Voraussetzungen straflos, weswegen es für ihn von erheblicher Bedeutung ist, ob er diese – in objektiver wie in subjektiver Hinsicht – bei der Tatbegehung auch erfüllt hat.

Die Entscheidung des 1. Strafsenats führt entlang dieser Fragen und bestätigt, veranlasst durch die Sachverhaltskonstellation, die bekannten rechtlichen Anforderungen an die „Notwehrlage“, die „Gebotenheit“ der Notwehrhandlung sowie an den erforderlichen „Verteidigungswillen“ beim angegriffenen Täter.

Der Senat hatte in einem anderen Fall jüngst ebenfalls Anlass, sich mit der „Notwehrlage“ zu befassen. Dort war es zu einer verbalen und körperlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen gekommen, in deren Verlauf es zu gegen den Oberkörper geführten Messerstichen durch einen der Beteiligten gekommen war. Dazu heißt es in dem Beschluss vom 23.09.2021 – 1 StR 321/21: „Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist der Gebrauch eines Messers jedoch in der Regel anzudrohen, wenn die Drohung unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht hat, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (…). Dies ist auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung zu beurteilen. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden.“ Hinsichtlich des in Rede stehenden Tatgeschehens wies der BGH darauf hin, dass der Geschädigte die Auseinandersetzung mit dem Täter durch einen ersten Schlag selbst begonnen und damit diesen angegriffen hatte. Hinzu kam, dass der Täter dem Geschädigten beide Stiche zu einem Zeitpunkt versetzt hatte, „als er sich in einer für ihn fast aussichtslosen Lage auf dem Rücken liegend befand, teilweise fixiert durch den auf ihm sitzenden Geschädigten“. Bei dieser Sachlage besteht Anlass zu der Prüfung, ob der Täter „nicht berechtigt war, zur Beendigung des Angriffs ein sofort wirksames Mittel – sogar in Form eines Messers – einzusetzen.“

Fraglich kann im Zusammenhang mit der Notwehr darüber hinaus etwa auch die „Gegenwärtigkeit“ des Angriffs sein. So hat der BGH in einem Beschluss v. 06.10.2021 – 6 StR 348/21 – jüngst ausgeführt: „Nach ständiger Rechtsprechung entscheidet über die Gegenwärtigkeit des Angriffs nicht erst die Vornahme der Verletzungshandlung, sondern bereits der Zeitpunkt der durch den bevorstehenden Angriff geschaffenen bedrohlichen Lage (….). Es genügt ein Verhalten, das unmittelbar in die eigentliche Verletzungshandlung umschlagen soll; bei einem vorsätzlichen Angriff ist dies die Handlung, die dem Versuchsbeginn unmittelbar vorgelagert ist.“ Im konkreten Fall waren zwei Angreifer bestrebt, den angeklagten Täter an Leib und Leben zu verletzen; sie standen nur einen Schritt von ihm entfernt und waren mit gefährlichen Werkzeugen – einem Cuttermesser und einem Schraubenzieher – bewaffnet. Der „Gegenwärtigkeit“ des von diesen beiden ausgehenden Angriffs stand, so der BGH, nicht entgegen, dass die die Klinge des Cuttermessers noch nicht „ausgefahren“ war. Angesichts dessen, dass deren „Ausfahren“ in Sekundenbruchteilen möglich ist, lag bereits eine akute Bedrohung des Täters vor.

Der Themenkomplex „Notwehr“ sollte bei der Vorbereitung auf das Examen auf keinen Fall fehlen!