Grindelhochhaus-Urteil

Grindelhochhaus-Urteil

Klassiker der Rechtsprechung zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Das Grindelhochhaus-Urteil behandelt klassische Problemfelder des EBV (enger Verwendungsbegriff, Theorie der absoluten Sperrwirkung) und gehört damit zur Pflichtlektüre im Jurastudium und der Examensvorbereitung. Die Wirkungen des Urteils und die Diskussionen um eine „richtige Lösung“ reichen bis heute.

A. Sachverhalt

Die beklagte Siedlungsgesellschaft hat in den Jahren 1951 und 1952 bei Errichtung eines Wohnblocks dergestalt über die Grenze gebaut, dass ein Teil des Gebäudes auf den beiden Grundstücken der Klägerin zu stehen kam. Verhandlungen mit dem Ziel, die Klägerin zur käuflichen Überlassung der beiden Grundstücke zu bewegen, führten zu keinem Erfolg. Ein von der Beklagten eingeleitetes Enteignungsverfahren endete wegen Fristversäumung ergebnislos. In dem gegenwärtigen Rechtsstreit verfolgt die Klägerin ihre Eigentümerrechte gegenüber der Beklagten. Nachdem ihr für den zunächst erhobenen Anspruch auf Beseitigung des Überbaues das Armenrecht versagt worden war, hat sie Herausgabe ihrer beiden Grundstücke verlangt, ferner im Wege der Stufenklage Auskunft über die von der Beklagten aus den Grundstücken gezogenen Nutzungen und Erstattung dieser Nutzungen. Dem Auskunftsanspruch ist durch Teilurteil stattgegeben worden (vgl. dazu das frühere Revisionsurteil des erkennenden Senats BGHZ 27, 204). Gegenüber dem Anspruch auf Grundstücksherausgabe macht die Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht geltend wegen ihrer Bauaufwendungen, die sie mit insgesamt 772 663,67 DM beziffert; sie hat dieserhalb Widerklage erhoben. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte verurteilt, die beiden Grundstücke mit dem darauf bzw. darüber befindlichen Teil des Hochhauses an die Klägerin herauszugeben; es hat auf die Widerklage die Klägerin zur Zahlung von 772 663,67 DM an die Beklagte verurteilt und ausgesprochen, dass die vorgenannten beiden Verpflichtungen Zug um Zug zu erfüllen seien. 

Schwerpunkte des Falls:

B. Worum geht es?

Es geht um klassische Problem des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses (§§ 987 ff. BGB):

Die Beklagte hatte (auch) auf fremden Grund und Boden ein Gebäude errichtet. Gegen den Herausgabeanspruch der Klägerin (§ 985 BGB), der sich auch auf den Teil des Gebäudes bezog, der mit ihren Grundstücken verbunden war (§§ 946, 94 I 1 BGB), verteidigte sie sich mit Gegenansprüchen wegen ihrer Bauaufwendungen, die sie mit ca. 770.000 DM beziffert hatte. Weil die Beklagte unberechtigte Besitzerin der Grundstücke der Klägerin war, könnte sich insoweit ein Anspruch aus § 996 BGB unter dem Gesichtspunkt „nützlicher Verwendungen“ ergeben; denn „notwendige“ Verwendungen nach Maßgabe der §§ 994, 995 BGB liegen nicht vor, weil die Bebauung der beiden Grundstücke mit einem Hochhaus-Teil keine Maßnahme darstellt, die zu ihrer Erhaltung oder ordnungsgemäßen Bewirtschaftung objektiv erforderlich gewesen wäre. Verwendungen sind im Ausgangspunkt gegenstandsbezogene Aufwendungen, also freiwillige Vermögensopfer, die der Sache unmittelbar zugutekommen sollen und damit ihrer Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung dienen. Dagegen könnte hier sprechen, dass die Bebauung eines bislang unbebauten Grundstück mit einem Wohnhaus das Grundstück umgestaltet und grundlegend ändert. Sollte ein Anspruch aus § 996 BGB demnach ausscheiden, hätte sich ein Anspruch noch aus §§ 951, 812 I 1 Var. 2 BGB ergeben können. Denn mit dem Bau und der Verbindung der Baustoffe mit den Grundstücken der Klägerin ist diese Eigentümerin der Baustoffe geworden (§§ 946, 94 I 1 BGB), sodass ihr ein Anspruch auf Entschädigung für diesen Verlust zustehen könnte (§ 951 I 1 BGB). Dem könnte indes entgegenstehen, dass es sich bei den Verwendungsersatzansprüchen aus §§ 994 ff. BGB um vorrangige Sonderregelungen handelt, die die allgemeinen Ansprüche, zu denen § 951 I 1 BGB gehört, ausschließen.

Der BGH hatte damit zwei Fragen zu klären:

  1. Liegen Verwendungen im Sinne von §§ 994 ff. BGB auch dann vor, wenn die Sache umgestaltet wurde, etwa bei dem Bau eines Wohnhauses auf bislang unbebautem Grund und Boden? 2. Schließen die §§ 994 ff. BGB einen Rückgriff auf den allgemeinen Anspruch auf Entschädigung für den Rechtsverlust aus § 951 I 1 BGB aus?

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH weist im Grindelhochhaus-Urteil (Urt. v. 26.2.1964 - V ZR 105/61 (BGH 41, 175 ff.)) die Sache an das Oberlandesgericht zurück. Die Vorschriften der §§ 994 - 1003 BGB würden im Verhältnis zwischen Eigentümer und nicht berechtigtem Besitzer den Ersatz von Verwendungen erschöpfend regeln und die Anwendbarkeit des allgemeinen Bereicherungsrechts ausschließen. Der Ausschluss erstrecke sich zugleich auf den Anspruch aus § 951 I 1 BGB. Diese Ausschlusswirkung greife auch dann ein, wenn sich eine werterhöhende Maßnahme des Besitzers nicht als Verwendung im Rechtssinne darstelle und er infolgedessen keinen Ersatz nach § 996 BGB verlangen könne.

I. Sachumgestaltende Aufwendungen als Verwendungen im Sinne der §§ 994 ff. BGB?

Bei der Prüfung eines Anspruchs auf Verwendungsersatz aus § 996 BGB stellt der BGH zunächst dar, dass die allgemeinen Voraussetzungen des § 996 BGB vorliegen:

„Ihre allgemeinen Voraussetzungen sind gegeben: Zwischen den Parteien besteht ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis; die Beklagte war ferner, was für die Anwendbarkeit der genannten Vorschriften unerläßlich ist (BGHZ 27, 317, 320; 31, 129, 132), bei Errichtung des Hochhauses nicht zum Besitz der überbauten Grundfläche berechtigt, da unstreitig keine rechtswirksame Enteignung stattgefunden hatte. Was die einzelnen Vorschriften anbetrifft, so käme hier aber lediglich der § 996 BGB in Betracht; denn »notwendige« Verwendungen nach Maßgabe der §§ 994, 995 BGB liegen nicht vor, insbesondere stellte die Bebauung der beiden Grundstücke mit einem Hochhaus-Teil keine Maßnahme dar, die zu ihrer Erhaltung oder ordnungsgemäßigen Bewirtschaftung objektiv erforderlich gewesen wäre (BGH Urt. v. 14. Dezember 1954, I ZR 134/53, NJW 1955, 340, 341; BGB-RGRK aaO § 994 Anm. 21). Dagegen wurde durch die Bebauung der Wert der überbauten Grundstücke im Sinne von § 996 BGB erhöht. Allein diese Vorschrift gewährt (sofern das weitere Erfordernis der Gutgläubigkeit erfüllt ist) einen Ersatzanspruch nur für Verwendungen.“

 Der BGH sieht in der Bebauung der bislang unbebauten Grundstücke mit einem Wohnhaus indes keine Verwendung iSd §§ 994 ff. BGB, weil die Grundstücke dadurch „grundlegend verändert“ wurden. Der BGH hält also an dem sogenannten „engen Verwendungsbegriff“ im Rahmen der §§ 994 ff. BGB fest. Dafür spreche bereits der Wortlaut der Vorschriften:

„Es fragt sich, ob die Erstellung eines Gebäudes auf einem fremden Grundstück als »Verwendung« in dem angegebenen Sinne verstanden werden kann. Der Berufungsrichter hat das verneinen wollen; denn er stellt darauf ab, daß die von der Beklagten vorgenommene Grundstücksbebauung nicht dazu gedient habe, die Bausubstanz, die in den Grundstücken der Klägerin bereits vorhanden gewesen sei, zu erhalten, zu verbessern oder zu pflegen, sondern daß damit ein vollkommen neues Bauwerk geschaffen worden sei. Dem ist beizutreten. Verwendungen sind Vermögensaufwendungen, die der Sache zugute kommen sollen, ohne sie grundlegend zu verändern (Palandt/Hoche aaO Vorbem. 2 vor § 994). Wie der erkennende Senat in BGHZ 10, 171 ausgeführt hat, fallen unter den Verwendungsbegriff nur diejenigen Maßnahmen, die darauf abzielen, den Bestand der Sache als solcher zu erhalten oder wiederherzustellen. Das kann, handelt es sich um ein Grundstück, zwar unter Umständen auch im Wege der Bebauung geschehen, etwa wenn ein vom Hochwasser gefährdetes Grundstück durch Errichtung eines Deiches geschützt oder ein abschüssiges Grundstück durch Bau einer Stützmauer vor dem Abgleiten bewahrt wird; ebenso stellt möglicherweise die Anlegung eines Stalles auf einem landwirtschaftlichen oder eines Kesselhauses auf einem industriellen Grundstück eine Verwendung dar. Der Senat hat es aber in jener Entscheidung als etwas durchaus anderes bezeichnet, wenn der Besitzer auf einem bisher unbebauten Grundstück ein Wohnhaus, eine Lagerhalle oder ein Fabrikgebäude errichtet; dann werde durch den Bau nicht das Grundstück in seinem Bestand verbessert, sondern sein Zustand verändert, indem es fortan für einen Zweck benutzt werde, dem es bisher nicht gedient habe; in solchen Fällen sei die Errichtung des Bauwerks keine Verwendung auf das Grundstück im Rechtssinne, wie sie denn auch im Sprachgebrauch nicht als Grundstücksverwendung bezeichnet werde. Diese Auslegung des Verwendungsbegriffs, die im Schrifttum gelegentlich Ablehnung erfahren hat (Breetzke, NJW 1954, 171; Siebert/Mühl, BGB 9. Aufl. § 994 Anm. 2, unter Bezugnahme auf OLG Breslau HRR 1939 Nr. 1101), ist vom Senat in späteren Entscheidungen aufrechterhalten worden (Urteile v. 23. Oktober 1953, V ZR 38/52, LM BGB § 946 Nr. 6 = NJW 1954, 265, und v. 17. September 1954, V ZR 35/54, LM BGB § 1004 Nr. 14; vgl. ferner Urt. v. 7. Februar 1962, V ZR 194/60, S. 10). Er hält auch nach erneuter Prüfung an ihr fest. Wollte man ganz allgemein die Errichtung von Gebäuden einbeziehen, so würde der Anwendungsbereich der §§ 994 ff BGB in einer Weise erweitert, die ersichtlich nicht mehr dem Zweck der gesetzlichen Regelung entspräche und für die auch kein vernünftiges wirtschaftliches Bedürfnis bestünde. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, daß die Beklagte keine »Verwendungen« auf die Grundstücke der Klägerin gemacht hat. Denn die Bebauung des Geländes, auf dem früher in zwei Einzelhäusern ein Altersheim betrieben wurde, mit dem Teil eines achtstöckigen Wohnblocks war, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, keine den Bestand der Grundstücke erhaltende, wiederherstellende oder verbessernde Maßnahme, vielmehr handelte es sich um eine Zustandsveränderung, die darauf hinzielte, das Anwesen einer ganz anderen Zweckbestimmung zu unterwerfen als bisher. Fehlt es aber an einer Verwendung, dann entfällt damit die Anwendbarkeit des § 996 BGB.“

 Für diesen engen Verwendungsbegriff lässt sich zudem anführen, dass „Verwendungen“ von einer „Verarbeitung“ (§ 950 BGB) abzugrenzen sind und der Eigentümer vor einer aufgedrängten Bereicherung zu schützen ist.

II. Verhältnis der §§ 994 ff. BGB zu § 951 I 1 BGB

Zunächst führt der BGH aus, dass es sich bei den Vorschriften über das EBV (§§ 987 ff. BGB) um eine erschöpfende Sonderregelung handele, die den §§ 812 ff. BGB vorgehe. Das gelte – wegen seiner Rechtsgrundverweisung – damit auch für den Anspruch aus § 951 I 1 BGB. Damit schließen auch die Verwendungsersatzansprüche aus §§ 994 ff. BGB – auch wenn § 993 I a.E. BGB Verwendungsansprüche nicht anspricht – Ansprüche aus § 951 I 1 BGB i.V.m. § 812 I 1 Var. 2 BGB aus:

„Mit Recht wendet sich die Revision gegen den Standpunkt des Berufungsgerichts, die für die Rechtsbeziehungen der Parteien maßgebliche Gesetzesvorschrift sei der § 951 Abs. 1 BGB. Sie verweist demgegenüber zutreffend auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach es sich bei den §§ 987 ff BGB um eine erschöpfende Sonderregelung handele, die dem allgemeinen Bereicherungsrecht vorgehe (RG JW 1937, 2519 Nr. 16; RGZ 163, 348, 352; vgl. auch BGB-RGRK 11. Aufl. § 994 Anm. 1). Die genannten Vorschriften regeln das Verhältnis des nichtberechtigten Besitzers zum nichtbesitzenden Eigentümer abschließend, so daß daneben andere, scheinbar auf den gleichen Tatbestand zugeschnittene gesetzliche Bestimmungen nicht zum Zuge kommen. »Ausschließlich« in diesem Sinne ist insbesondere die Regelung der §§ 994 - 1003 BGB über den Ersatz der vom Besitzer auf die Sache gemachten Verwendungen; sie geht, wie der Senat entschieden hat (Urt. v. 7. Februar 1962, V ZR 194/60, S. 10), den Vorschriften der §§ 812 ff BGB vor. Zu dem hiernach von der Anwendung ausgeschlossenen Bereicherungsrecht gehört auch der § 951 Abs. 1 BGB; denn wenn in dieser Vorschrift - die für den Eigentumsverlust infolge Verbindung beweglicher Sachen mit einem Grundstück (§ 946 BGB) einen Anspruch auf Vergütung in Geld gewährt - auf die Bereicherungsbestimmungen verwiesen wird, so bedeutet das, daß der Vergütungsanspruch nur unter den in § 812 Abs. 1 BGB angegebenen Voraussetzungen entsteht; § 951 BGB schafft keinen selbständigen Entstehungstatbestand für einen Geldanspruch, er stellt lediglich einen Unterfall des allgemeinen Bereicherungsrechts dar (BGHZ 17, 236, 238 f; 35, 356, 359 f; 40, 272, 276; LM BGB § 812 Nr. 14; Urt. v. 29. Januar 1964, V ZR 185/61, zur Veröffentlichung vorgesehen; BGB RGRK aaO § 951 Anm. 3; Siebert/Oechßler, BGB 9. Aufl. § 951 Anm. 1; Berg, AcP 160, 505 f; ebenso jetzt auch Westermann, Sachenrecht 4. Aufl. § 54 Nr. 1, S. 270, unter Aufgabe seines abweichenden Standpunktes in der 3. Aufl. aaO, S. 261). Den §§ 994 ff BGB gebührt also der Vorrang nicht nur vor den allgemeinen Bestimmungen der §§ 812 ff BGB, sondern auch vor § 951 Abs. 1 BGB.“

 Das gelte sogar dann, wenn Verwendungen i.S.v. §§ 994 ff. BGB gar nicht vorliegen. Die Sperrwirkung der §§ 994 ff. BGB greife also auch dann ein, wenn dessen Anwendungsbereich gar nicht eröffnet ist. Damit hatte der BGH die sogenannte Theorie der absoluten Sperrwirkung begründet:

„Die geschilderte Rechtslage hat zur weiteren Folge, daß der Anspruch auf Ersatz der Bauleistungen, den die Beklagte mit der Widerklage geltend macht und den ihr der Berufungsrichter zuerkannt hat, sich als unbegründet erweist. Die Beklagte möchte allerdings aus der Nichtanwendbarkeit des § 996 BGB den Schluß ziehen, nunmehr müsse doch wieder auf den § 951 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden; sie meint, diese Vorschrift komme hier deshalb zum Zuge, weil sie in Ermangelung eines Verwendungs-Tatbestandes nicht durch die gesetzlichen Vorschriften über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis verdrängt werde. Das ist indessen nicht richtig. Die Beziehungen zwischen Eigentümer und nichtberechtigtem Besitzer haben, wie oben ausgeführt wurde, durch die §§ 987 ff BGB eine erschöpfende Sonderregelung erfahren, die dem allgemeinen Bereicherungsrecht und damit zugleich dem § 951 BGB vorgeht und seine Anwendung ein für allemal ausschließt. Es geht nicht an, diese Ausschlußwirkung dahin einzuschränken, daß jeweils darauf abgestellt wird, ob eine Verpflichtung zum Verwendungsersatz besteht oder nicht. Entfällt die Ersatzpflicht im konkreten Fall wegen Fehlens einer der gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere weil - wie hier - keine »Verwendungen« im Sinne der §§ 994 ff BGB vorliegen, dann verbleibt es gleichwohl bei dem Ausschluß der Bereicherungsvorschriften. Die weiteren Rechtsfolgen bestimmen sich auch in solchen Fällen allein nach den für das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis geltenden Regeln. Soweit die Ausführungen des Senats in dem bereits erwähnten Urteil BGHZ 10, 171 etwas Gegenteiliges besagen sollten (S. 178 f), wird der dortige Standpunkt nicht aufrechterhalten. Die Ansicht, daß der § 951 Abs. 1 BGB gegebenenfalls auch neben den Sonderbestimmungen der §§ 994 ff BGB angewendet werden könne, würde vor allem bei mangelndem guten Glauben zu unbilligen Ergebnissen führen. Nach ihr könnte nämlich der Besitzer für Eingriffe in die Sachsubstanz, die über den Umfang von Verwendungen hinausgehen und den Zustand der Sache verändern, auch dann Wertersatz verlangen (§§ 951 Abs. 1, 818 Abs. 2 BGB), wenn ihm der Mangel seiner Besitzberechtigung bekannt oder nur infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war; begnügt er sich dagegen mit bestandserhaltenden oder wiederherstellenden Maßnahmen, so steht ihm für diese Verwendungen (falls sie nicht »notwendig« im Sinne der §§ 994, 995 BGB sind), laut § 996 BGB kein Ersatzanspruch zu. Eine solche Besserstellung dessen, der in Ausnutzung einer ihm nicht gebührenden Sachherrschaft das angemessene Maß überschreitet und den Eigentümer vor die vollendete Tatsache einer völligen Umgestaltung seines Eigentums stellt, gegenüber dem, der sich noch innerhalb der durch den Verwendungsbegriff gezogenen Grenzen einer vernünftigen wirtschaftlichen Betrachtungsweise hält, erscheint unangebracht und kann nicht rechtens sein. Schließen daher nach Auffassung des erkennenden Senats die §§ 994 ff BGB, auch wenn keine Verwendungen im Rechtssinne auf die betreffende Sache gemacht worden sind, den § 951 Abs. 1 BGB aus, so mag damit auf den ersten Blick der Anwendungsbereich der letztgenannten Vorschrift erheblich eingeschränkt erscheinen. Daß sie aber vom Boden dieser Auffassung aus, wie die Beklagte meint, in den weitaus meisten Fällen schlechthin unanwendbar wäre, trifft nicht zu. Die Ausschlußwirkung greift nur Platz, wenn ein Eigentümer- Besitzer-Verhältnis vorliegt, während in allen sonstigen Fällen, in denen jemand durch Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung das Eigentum an beweglichen Sachen verliert, der § 951 BGB unbedenklich zum Zuge kommt. Im übrigen besteht ohnehin seine Bedeutung, da er keine selbständige Anspruchsgrundlage abgibt, sondern lediglich ein Unterfall des allgemeinen Bereicherungsrechts ist, vornehmlich darin, daß eine Wiederherstellung des früheren Zustandes nicht verlangt werden kann (Abs. 1 Satz 2 aaO; vgl. Urt. v. 29. Januar 1964, V ZR 185/61).“

III. Entschädigungsanspruch aus § 242 BGB

Schieden Verwendungsersatzansprüche aus, blieb der Beklagten nur das Wegnahmerecht: Gemäß § 997 BGB kann der Besitzer die andere Sache abtrennen und sich aneignen. Das würde im vorliegenden Fall bedeuten, dass die Beklagte den Teil des Hochhauses, den sie auf die Grundstücke der Klägerin hinübergebaut hat, abbrechen und die dabei frei werdenden Baustoffe wegnehmen und anderweitig verwenden dürfte. Allerdings war dieses (wirtschaftlich wohl ohnehin in aller Regel wertlose) Wegnahmerecht wegen öffentlich-rechtlicher Wohnraumbewirtschaftungsregeln ausgeschlossen. Deshalb gewährte der BGH der Beklagten ausnahmsweise einen aus § 242 BGB abgeleiteten Ausgleichsanspruch; ein solcher Anspruch sei ein „Gebot der Gerechtigkeit“:

„Darf aber die Beklagte ihr gesetzliches Wegnahmerecht aus Gründen der Wohnraumbewirtschaftung nicht ausüben, dann erscheint es als ein Gebot der Gerechtigkeit, ihr für den Rechtsverlust, den sie auf diese Weise erleidet, entsprechende Schadloshaltung zu gewähren. Der Gedanke, daß jemand, der von einer ihm nach allgemeinen bürgerlichrechtlichen Vorschriften zustehenden Befugnis infolge einer entgegen stehenden Sonderrechtsnorm keinen Gebrauch machen kann, angemessen entschädigt werden muß, ist dem geltenden Recht nicht fremd. Er findet sich beispielsweise in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Nachbarrecht, insbesondere im Anwendungsbereich des § 906 BGB aF und des § 26 GewO bei ortsüblichen, den Nachbarn übermäßig schädigenden Immissionen (BGHZ 28, 225, 232 m. Nachw.), und in der hieran anknüpfenden Neufassung des § 906 BGB auf Grund des Art. 4 des Änderungsgesetzes vom 22. Dezember 1959 (BGBl I 781). Wenn nunmehr nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB der Nachbar für Einwirkungen, die eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigen, die er aber trotzdem dulden muß, einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen kann, so liegt dieser Regelung ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zugrunde (BGB-RGRK aaO § 906 Anm. 33). Seine Anwendung auf den hier zur Entscheidung stehenden Sachverhalt führt zu dem Ergebnis, daß die Klägerin zum Ausgleich für den unverhofften Vermögensvorteil, der ihr infolge Nichtausübbarkeit des Wegnahmerechts in den Schoß fällt, an die Beklagte eine Geldentschädigung zahlen muß. Was die Höhe dieses auf § 242 BGB beruhenden Ausgleichsanspruchs anbetrifft, so versteht sich von selbst, daß er auch nicht annähernd den Betrag von 772 663,67 DM erreichen kann, den die Beklagte im angefochtenen Urteil als Vergütung nach §§ 951 Abs. 1, 818 Abs. 2 BGB zugesprochen erhalten hat. Denn abgesehen davon, daß das Berufungsgericht hierbei irrigerweise von der Summe der angeblich aufgewendeten Baukosten ausgegangen ist, anstatt auf die tatsächliche Steigerung des Verkehrswertes abzustellen (BGHZ 10, 171, 180 f; 17, 236, 240 ff; Urteile v. 19. September 1962, V ZR 138/61, WM 1962, 1295 = NJW 1962, 2293, v. 23. November 1962, V ZR 148/60, WM 1963, 290, und v. 10. Juli 1963, V ZR 181/61, WM 1963, 1066, 1068 f), kommt es auch für den angemessenen Ausgleich, den die Beklagte einzig zu beanspruchen hat, nicht in erster Linie auf die Wertsteigerung des herauszugebenden Grundbesitzes an. Maßgebend muß vielmehr sein, daß die Beklagte, weil ihr die Ausübung ihres gesetzlichen Wegnahmerechts verwehrt ist, diejenigen Bauteile, die sie im Falle eines Gebäudeabbruchs nutzbringend anderweitig verwerten könnte (etwa Türen, Fenster, Heizkörper, Badeeinrichtungen, elektrische Herde und dergleichen), im Hause zurücklassen muß. Eine Minderung erfährt ihr Ausgleichsanspruch andererseits durch die Einsparung der Abbruchskosten. Diese Rechnungsfaktoren geben indessen nicht den alleinigen Ausschlag. Da es nämlich darum geht, einen billigen, dem Grundsatz von Treu und Glauben entsprechenden Interessenausgleich zu finden, müssen sämtliche Umstände des Falles berücksichtigt werden (LM BGB § 242 Ba Nr. 27; § 779 Nr. 2). Zugunsten der Beklagten fällt insbesondere in die Waagschale, daß sie sich seinerzeit in einer schwierigen Lage befand (wird ausgeführt). Nicht unbeachtet bleiben darf auch der erhebliche Vorteil, den die Klägerin dadurch erlangt, daß ihr nicht nur die Grundstücke zurückgegeben werden müssen, sondern zugleich mit ihnen auch der übergebaute Hochhausteil.“

D. Fazit

Das Grindelhochhaus-Urteil behandelt klassische Problemfelder des EBV (enger Verwendungsbegriff, Theorie der absoluten Sperrwirkung) und gehört damit – ebenso wie die Kritik an ihm – zur Pflichtlektüre bei der Examensvorbereitung. Die Wirkungen des Urteils und das Ringen um seine „richtige Lösung“ reichen bis in die heutige Zeit. So hat der BGH in einer aktuellen und examensrelevanten Entscheidung („Frankfurter Galopprennbahn“) ausgeführt (Urt. v. 19.9.2014 – V ZR 269/13):

„Entgegen der Auffassung der Revision kommt es für die Verneinung von Ansprüchen nach § 994 Abs. 1, § 996 BGB weder darauf an, ob die errichteten Baulichkeiten und die ergriffenen landschaftsgärtnerischen Maßnahmen auf der Grundlage des von dem Senat bislang vertretenen engen Verwendungsbegriffs ausnahmsweise als Verwendung anzusehen sind (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 1953 – V ZR 22/52, BGHZ 10, 171, 177 ff.; Urteil vom 26. Februar 1964 – V ZR 105/62, BGHZ 41, 157, 159 ff.) noch darauf, ob die von der Revision aufgegriffene Kritik an dieser Rechtsprechung (vgl. etwa Münch- Komm-BGB/Baldus, 6. Aufl., § 994 Rn. 13 ff.; Canaris, JZ 1996, 344, 347 f.; Staudinger/Gursky, BGB [2013], vor § 994 Rn. 8 ff; jeweils mwN) berechtigt ist.“

Der aufmerksame Leser wird sich wegen der Verwendung des Wortes „bislang“ fragen, ob der BGH möglicherweise in Zukunft von den im Grindelhochhaus-Urteil aufgestellten Grundsätzen Abstand zu nehmen gedenkt.